Tschüss, du seltsames Jahr 2022

Liebe Kunden, Lieferanten, Kollegen, Nachbarn und Freunde des Hauses,

2022 hat es fast geschafft – das Jahr neigt sich mit den bevorstehenden Festtagen dem Ende zu. Und ich bin fast geneigt: das Jahr 2022 hat auch uns geschafft.

Januar…

Mit festem Mut und voller Vorfreude starte ich in das Jahr 2022, glaube ich doch nach fordernden 2 Corona-Jahren die Normalität bzw. den Exit quasi greifbar vor Augen. Viele bereits 3-fach geimpft, mildere Virus-Varianten und beherrschbare Krankheitsverläufe. Licht am Ende des Tunnels? Herzlich gerne – ich wäre bereit!
Wie wird der Exit konkret verkündet? Ich bin neugierig und gespannt. Stellt sich der Kanzler oder der Bundesgesundheitsminister oder die versammelte Schar der Innenministerkonferenz vor die Presse und verkündet ‚den endemischen Zustand‘?  Wird Maggus Söder vorpreschen? Was und wie auch immer der Regieplan vorsieht – ich glaube an das kollektive Auf- und Durchatmen (natürlich ‚virenfrei’…) – allerspätestens zu Ostern!

Februar…

Kurz vor Karneval reise ich mit KollegInnen in die Republik Moldau um den dortigen Weinbau kennen zu lernen. Erstmalig in meinem Leben werde ich am 24. Februar frühmorgens in der moldawischen Hauptstadt Chișinau von dem Geräusch detonierender Bomben geweckt. Russland greift tatsächlich den Nachbarn Ukraine an und bombardiert u.a. Odessa und die Schlangeninsel. Ich bin zu dem Zeitpunkt 50-80 km Luftlinie entfernt, also ’safe‘. In knapp 6 Stunden geht unser Flieger nach Hause. Oder doch nicht? Der Luftraum ist gesperrt, wir beschließen die Flucht nach Rumänien um zumindest in einem EU-Land / NATO-Mitgliedsland einigermaßen sicher zu sein. Am 25. Februar trinke ich in Rumänien einen Rotwein aus biodynamischem Anbau, der zu den besten Weinen gehört, die ich je trinken durfte. Am 26. Februar schickt die Austrian einen Sonderflieger ins rumänische Iași und uns gelingt mit vielen ukrainischen Flüchtenden die Ausreise Richtung Wien.
(Hier ist der Bericht zur Moldau-Reise.)

März…

Lust auf Karneval habe ich nun wahrlich nicht, und ehrlich gesagt, weiss ich auch gar nicht ob 2022 Karneval überhaupt stattgefunden hat. In Gedanken bin ich immer noch in Moldau und auf der Flucht. Corona lichtet sich und die ersten Weinseminare ohne Check-in oder Check-out bzw. Testung finden statt. Tolle Atmosphäre, die Gäste und Teilnehmenden sind locker, dankbar und entspannt. Ein Online-Tasting für Fachhändler zum Thema ‚Silvaner aus Franken‘ zeigt mir in beeindruckender Weise, welche Vielfalt und Innovationskraft in dieser Region herrscht – und wie wenig ich über diesen Schatz eigentlich weiß. Da muss ich unbedingt hin! Müsste auch deutlich risikoärmer sein als Moldau… In unsere Nachbarschaft zieht eine ukrainische Mutter mit ihrem Sohn. Bereits 2014 Donezk nach Kiew geflüchtet, jetzt erneute Flucht aus Kiew.

April…

Das Thema Weinseminare läuft richtig rund und ich habe mega Spass bei der inhaltlichen Vorbereitung. Zunehmend tauche ich in Geschichte, Geologie, Völkerkunde ein. Es ist spannend zu sehen, welche Ereignisse bestimmte Entwicklungen beeinflusst oder gar erst gegründet haben. Wenn das meine damaligen Gymnasiallehrer wüssten… Lebenslanges Lernen hat was!
Parallel betreue ich eine Bachelor-Arbeit zum Thema Wein-Marketing und bin erstaunt wie ‚lost‘ viele Studierende während Corona im Regen stehen gelassen worden sind.

Mai…

Prowein in Düsseldorf! Endlich wieder ein ‚dickes Ding‘ in der Branche. Wobei die ‚Behelfslösungen‘ in Corona auch definitiv nicht schlecht waren, aber halt anders. Die Messe ist großzügig aufgebaut, eine komplett andere Wahrnehmung. Gefühlt weniger Besucher, jedoch ist Gedränge und Geschiebe nicht automatisch ein Garant für Erfolg. Viele nette Gespräche und ein wunderbares Wiedersehen. Im Mai zudem zwei Auftritte als Kabarettist und Moderator. Die Leute haben das Lachen zum Glück nicht verlernt…und ich zum Glück mein Talent für skurrile Geschichten nicht verlernt.

Juni…

Unser Sohn hat das Abi in der Tasche. Mit Peter Kraus endlich wieder unsere beliebte BURGER-Sprechstunde vor der Metzgerei. Unser Sohn (der mit dem Abi) wird hierzu von Peter als DJ gebucht. Cool, dass Kinder häufig ihr Talent den eigenen Eltern verheimlichen…ich wusste von nix.
Besuch bei 2 ‚Jungwinzern‘ (ich tue mich mit der Bezeichnung immer etwas schwer…) an Saar und Mosel. Mit Peter Thelen (Weinmanufaktur ‚Petershof‘) einen podcast produziert, in Leiwen über das Können von Carlo Schmitt gestaunt. Sofort das Auto mit maximaler Zuladung belastet. Ich bin immer wieder überrascht, wie schwer sich der Handel tut ‚Newcomern‘ (ich tue mich mit der Bezeichnung immer etwas schwer…) eine Chance zu geben. Stattdessen immer der Fokus auf ‚bekannte Namen‘. Warum?
Mein Bruder und ich unterschreiben notariell eine Absichtserklärung, unsere beiden Grundstücke in der Stadt Hennef (insgesamt 7000 Quadratmeter) im Rahmen einer Sachspende einer Stiftung zu übertragen. Hieraus wird dann das geplante Sibilla-Hospiz in Hennef entstehen (sobald der Verwaltungsweg absolviert ist; das kann dauern).
Wir fahren in den Urlaub nach Spanien und ‚gönnen‘ uns Corona. Also nicht das Bier. Keine Quarantäne o.ä. – wir können uns mit ausreichend Abstand (Vorsaison) am Strand erholen.

Juli…

Entweder fehlt die Erinnerung (Corona-Folge?) oder der Monat war wirklich komplett ereignislos. Aufgrund der Sommerferien keine Weinseminare. Gute Zeit um viel Rennrad zu fahren…War sonst wirklich nix im Juli? Krass – ein Monat ohne Ereignisse. Tut auch mal gut.

August…

Sebastian Schlømer und Band kommen wieder zu einem ‚Klappstuhlkonzert‘ in unseren Garten. Keine Corona-Beschränkung, mir müssen keine 1,50m zwischen den Stühlen ausmessen -im Gegenteil, der Garten ist prächtig gefüllt. Fahre mit Freunden auf dem Rennrad von Geistingen nach Geistingen – am gefühlt heissesten Tag des Jahres. Wir haben eine Mission: Wasser aus der Maas nach Geistingen bringen, um den dortigen Brunnen vor dem Austrocknen zu bewahren. Vollkommen gaga, aber in sich total schlüssig! Nur die Friedhöfe mit dem ‚Giesswasser nach Trinkwasserverordnung‘ retten mich auf diesen knapp 180 Kilometern vom belgischen Geistingen ins heimische Geistingen. Die letzten 50 Kilometer fahre ich alleine – Nahtoderfahrung…

September…

Nervosität macht sich in der Branche breit. Lieferanten, Verbände und Winzer möchten sich unbedingt noch in diesem Quartal in Szene setzen. Eine Fach-Veranstaltung und Masterclass jagt die Nächste. Lerne in Holland fulminante Biere von der East-Coast/ Oceanside in New York kennen. Bin elektrisiert bis elektrifiziert. Da muss ich irgendwie ran kommen.
Die Ankündigen der Energie-Versorger für die neuen Abschläge sind im wahrsten Sinne des Wortes ‚atemberaubend‘. Wie soll das funktionieren?

Oktober

Immer noch Nervosität in der Branche. Immer noch Termine über Termine. Corona hatte auch seine positive Seiten: ein deutlich entspannterer Termin-Kalender (Scherz!) Die Lieferketten werden zunehmend strapazierter. Fachkräftemangel an jeder Strassenecke. Wo sind all‘ die Menschen geblieben, wenn es augenscheinlich nicht eine einzige Branche gibt, die ein Überangebot an Arbeitskräften hat? Ich zweifele gerade an Allem, was ich in meinem BWL-Studium gelernt habe… Im Versand haben wir nun neben UPS auch DHL als Partner. Das gewohnte braune UPS-Auto ist schon seit über einem Jahr durch einen Subunternehmer (oder Subunternehmer des Subunternehmer?) abgelöst worden. Damit bricht auch die nostalgische Treue zu UPS…

November…

Nervosität in der Branche. Die Zahlen scheinen überall im Einzelhandel und in der Gastro nicht wirklich zu stimmen. Oder die Stimmung ist so dermaßen negativ von diesem anstrengenden Jahr 2022 geprägt, dass selbst gute Zahlen als schlechte Zahlen interpretiert werden. Die Nachfrage nach Weinseminaren reicht bereits bis in Frühjahr 2023 – eine Marktlücke? Erstmalig gelingt es mir ein begehrtes Topp-Olivenöl aus Sizilien zu listen – womöglich sind in Corona einige Händler weg gebrochen. Das Öl entpuppt sich als high-light und ist schnell vergriffen. Das Thema Seminare lässt mich nicht los und ich beginne an einer keynote zum Thema ‚Sensation‘ zu arbeiten. Klingt sensationell, ist aber komplett irdisch & bodenständig.

Dezember…

Kulinarische Weinprobe mit französischen Weinen im Restaurant ‚Bierthe‘ in Troisdorf vor vollem Haus. Es zeigt sich einmal mehr: französische Weine sind in ihrer dezenten Fruchtigkeit geniale Essenbegleiter. Teilweise an drei Tagen pro Woche Weinseminare mit entsprechender ‚Nachtschicht‘ – nach regulärem Dienst im Einzelhandel wohl gemerkt. 15-17h am Stück – man wird nicht jünger, aber die Kundschaft ist zufrieden und honoriert das Engagement. Keine Nachbestellungen in vielen Bereichen möglich, die Logistikbranche ist am Limit. Hätte ich mich deswegen vor 10 Jahren noch verrückt gemacht, siegt heute die Gelassenheit. Das Oceanside-Craftbier konnte ich in beschränkter Stückzahl ‚organisieren‘ und ich flechte daraus einen Adventskranz zu einem Super-Preis, der aber immer noch höher ist als all’das, was wir in Deutschland zum Thema Bier gewohnt sind. Ocean-Side scheint das Premier-Grand-Crù-Classée der Bierbranche… Das Bier ist aber immer noch günstiger als eine 12-er Kiste ‚Romanee Conti Grand Echezeaux 2008‘, die Mitte Dezember mit 43.792 Britischen Pfund taxiert wird. 12 Flaschen – Luxus ist manchmal schon obszön.
Unsere Grundstücke haben wir nun notariell beurkundet der Reinold Hagen Stiftung übertragen. Diese fungiert als Bauherr für das Sibilla Hospiz. Der Spatenstich ist erfolgt, der Bagger rattert. Es bleibt das beglückende Gefühl, in diesem ‚eigenartigen Jahr‘ etwas Gutes & Positives getan zu haben.
In den letzten Tagen vor Weihnachten viele bekannte Gesichter im Einzelhandel (ich versuche immer Gesichter mit gekauften Weinen zu verbinden…). Besonders erfreulich ist, wenn Kunden bspw. im Frühjahr einen Wein gekauft haben und diesen unbedingt zu Weihnachten nochmals geniessen möchten. Dann scheint der Wein nicht der Schlechteste gewesen zu sein – und die Beratung war womöglich auch ein Volltreffer. Wie ich Gesichter und Weine ‚matche‘? Ich schreibe noch Quittungen von Hand, dann bleibt es im Gedächtnis. (Hinweis: natürlich ginge das auch mit Kundenkarte und KI – aber meine Methode wirkt immer ‚verblüffend‘)

Die 3. oder 4. Showküche made by Ralf Kronester ist leer geräumt und wird im Januar ein neues Heim hinter Lüneburg finden. Es wird erstmalig keine neue Küche in dem Raum geben. Das Thema Kochen & Grillen hat sich in Corona erledigt, es wird Zeit neue Dinge zu wagen. Ein Seminarraum mit Multi-Media? Eine Weinbar? Ich werde mich mal mit einer Flasche Wein in den ab Januar leeren Raum setzen und auf ‚Stimmen aus dem Orbit‘ warten.

2023 ?

Ein Ausblick auf 2023 fällt schwer. Allenthalben Unsicherheit, Wechselwünsche in vielen Branchen, die Gewissheit, das ‚Planbarkeit‘ zum Fremdwort mutiert ist usw. etc. Das Wort ‚Zeitenwende‘ unseres Bundeskanzlers scheint nahezu auf alle Bereiche unseres Leben zu treffen. Und meine Befürchtung ist: auch 2023 werden wir noch manch‘ harten Bissen zu kauen haben. Mögen unsere Gebissprothesen gut haften…

Ihnen Allen dort draussen an den Empfangsgeräten: feiern Sie so, wie Sie es für richtig halten und es Ihnen gut tut. 2023 wird kommen, das ist gewiss..

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