Weinseminar Vino Nobile di Montepulciano versus Brunello di Montalcino: ein Rückblick
Möglicherweise geht es vielen Mitfünfzigern so wie mir: vor 20-25 Jahren war der Vino Nobile, der ’noble Wein‘ aus Montepulciano noch in vieler Munde. Ende der 1990er Jahre gab es fast noch ein Wettbewerb mit dem Ortsnachbarn Brunello aus Montalcino, wer der toskanische Platzhirsch (noch vor dem Chianti Classico!) sei. In der Zwischenzeit ist viel passiert: der Brunello eilt von Höhenflug zu Höhenflug (preislich und in der Presse), während der Vino Nobile fast schon zur bedauernswerten Randnotiz verkommen ist. Warum ist das so? Und vor allen Dingen: ist diese eklatante Differenz in der Wahrnehmung auch in der Weinqualität begründet?
Ein Rückblick ins letzte Jahrtausend
Was das Thema Wein angeht, so lerne ich zunehmend dass ein Blick in die Geschichte häufig für den status quo einer Weinregion sehr erhellend ist. Und dabei alle Andere als langweilig!
Brunello bzw. der Ort Montalcino war bis ins Jahr 1964 wirtschaftlich extrem prosperierend. Dies lag einzig in der Via Francigena, dem ‚Frankenweg‘ begründet. Seit dem Mittelalter führte dieser Weg zunächst als Pilgerweg, dann auch als Handelsweg vom englischen Canterbury über Frankreich bis hin nach Rom. Und eine Etappe dieses historischen Pilgerweges führte geradewegs mitten durch Montalcino. Müde & durstige Pilger rasteten, übernachteten, Gewerbe siedelte sich an, usw. usw. Nahezu nichts wurde auf die Flasche gefüllt, der Wein (Moscadello als süßer Weisswein und der Rotwein aus der Rebsorte ‚Brunello‘) wurde vor-Ort getrunken oder als Wegzehrung abgefüllt. Diese ökonomisch paradiesischen Zustände endeten abrupt 1964…
Die ‚Autostrada del Sole‘ als Zäsur
Im Jahre 1964 wurde die Autobahn A1, die Autostrada del Sole eröffnet – und das wirtschaftliche Leben in Montalcino kam förmlich über Nacht zum Erliegen. Millionen von Besuchern, Pilgern, Handelsreisenden blieben aus. In der Folgezeit entvölkerte sich der Ort um knapp 70% der ehemaligen Bevölkerungszahl, nur noch 4 Weinproduzenten und knapp 25 Traubenlieferanten waren Ende der 1960er Jahre vom einstigen Boom übrig. Diese gründeten dann das ‚Consorzio del Brunello di Montalcino‘. Motto: wenn Niemand mehr zu uns kommt, müssen wir wohl zu den Leuten gehen, uns aktiv um Werbung und Vermarktung kümmern.
Der amerikanische Markt entwickelt sich:
Die italienisch-stämmigen Brüder Mariani aus New York erwarben 1977 satte 1100 Hektar Land inklusive dem Castello Banfi. Die Brüder, bestens vernetzte Weinhändler und Gastronomen in den USA, ebneten so den Markteintritt für Brunello in Amerika. Die amerikanische Fachpresse, namentlich der ‚Winespectator‘, widmete sich zunehmend dem Brunello, plötzlich wurden unter den 100 besten Weinen der Welt sogar 3 Brunello gelistet. Ab dem ‚historischen Jahrgang‘ 1997 (Anm. für mich eher ein Pressehype, der Jahrgang war mir zu warm und marmeladig) gab es kein Halten mehr. Internationale Investoren reichten sich die Klinke, die Preise explodierten genauso wie die angebaute Fläche (+60% in wenigen Jahren!) Mit dem ‚Brunello-Gate‘ (illegaler Verschnitt mit Merlot und Cabernet) und der Finanzmarktkrise 2008 schien das Erfolgsmodell ‚Brunello‘ aus der Spur zu kommen. Aber auch hier schaffte es das Consorzio mit geschickten Schachzügen (‚Entsorgung‘ des Brunello als Rosso di Montalcino bzw. anonyme Handelsware über den deutschen und schweizerischen Lebensmitteleinzelhandel) die renommierten Marken und Namen nahezu unbeschädigt aus der Krise kommen zu lassen. Neue Märkte in Asien, Ost- und Nordeuropa entwickelten sich und stießen auf die stabile Nachfrage aus USA/Kanada und sorgten für weiterhin für steigende Preise. Den deutschen Markt hat aktuell nahezu kein Winzer mehr im Visier, zu lukrativ sind diese neuen Märkte sowie der Stammmarkt USA. Mit dem Jahrgang 2018, der ab dem 1. Januar 2023 in der Vermarktung sein darf, gehen trotz aller bekannten globalen Krisenherde die Weine in eine neue Preisrunde: unter € 50,00 je Flasche dürfte für den Endverbraucher nichts mehr erhältlich sein, was wirklich Genuss bereitet.
Der Jahrgang 2017
Wir hatten Glück und durften noch 6 Brunello aus dem Jahrgang 2017 verkosten. Wobei auch diese Weine de facto noch recht jung waren. Die Faustregel sagt: 10 Jahre Reife wäre schon ideal, damit sich ein Brunello wirklich prachtvoll präsentieren kann. Ein großer Vorteil: die ‚Barrique-Mania‘ der späten 1990er/ Anfang 2000er ist als Modeerscheinung in der Toskana deutlich im Abschwung. Man hat realisiert, dass Brunello (oder Chianti, oder Vino Nobile) kein Bordeaux ist. Sangiovese als Rebsorte ist eher wie Nebbiolo, wie Pinot Noir, nicht mächtig in der Farbe, die Gerbstoffe kommen am Besten zur Ruhe, wenn die Weine in großen Holzfässern aus Eiche reifen. Manche Produzenten nutzen noch recht ‚kleine‘ große Fässer (20 Hektoliter = 2000 Liter = 8-fache Barriquegröße). Andere wiederum sind mit 50-80 Hektoliter fassenden Gebinden am Start. Der Brunello behält so seine Würze, seine prägnante Säure ist tragend, die Kirschfrucht wird nicht von russig-verbrannten Holznoten überdeckt. Größte Anerkennung gab es für den Brunello von Claudia Ferrero, die mit ihren 3 Töchtern ein reines Frauen-Weingut leitet. Da trafen Charakter auf Tiefe auf Eleganz auf Trinkigkeit. Dieser Wein dürfte in 3-5 Jahren ein Traum sein – und lud aufgrund des exzellenten Korkqualität auch zu langer Lagerung ein.
Das ‚Consorzio del Brunello‘ bewertet den Jahrgang 2017 mit 4/5 Sternen. Der 2016er erhielt 5/5 Sterne als exzellenter Jahrgang. In 2017 war es schlichtweg wieder zu trocken im Winter/ Frühjahr, so dass im Sommer keine Wasserreserven zur Verfügung standen. Die Beeren reiften aus, jedoch nur unter Einschränkung der Menge. 2018 wird ebenfalls ein 4/5 Sterne Jahrgang sein, jedoch weniger wuchtig denn mehr elegant und mit frischer Säure. Aktuell produzieren rund 250 Betriebe Trauben bzw. knapp 210 füllen auch selber ab. Auf 3500 Hektar zertifizierter Anbaufläche für Brunello DOCG wurden laut ital. Weinstatistik 82000 Hektoliter Wein produziert. Um die 7 Mio. Flaschen bilden auf einem Preisniveau um die 50 Euro eine stattliche Wirtschaftsleistung ab.
Und was ist mit dem ’noblen Wein‘ aus Montepulciano?
Im benachbarten Ort Montepulciano (ca. 20 km nordöstlich) hingegen kann man bei den vorgenannten Zahlen nur in schluchzendes Heulen ausbrechen. Zwar war das pittoreske Renaissance-Städtchen eigentlich immer die ‚Schönere‘, auch gab es Kontakte in den Adel und zu Päpsten – aber eine wirtschaftliche Boom-Phase wie mit der ‚Via Francigena‘ gab es nie. Nun hatte ja auch Montalcino irgendwann mit dem Fall in die Bedeutungslosigkeit zu kämpfen, somit waren bis auf die Kontakte nach Amerika eigentlich die Vorraussetzungen für beide Orte Ende des vorigen Jahrtausends nahezu gleich. Ich erinnere mich noch gut daran, dass die Preise Ende der 1990er auf einem ähnlichen Niveau lagen, Brunello ca. 15-20% teurer als Vino Nobile (und nicht wie heute plus 100%!). Auch kamen viele italienische Investoren nach Montepulciano um sich ein Wochenend- und Sommerdomizil rund um das kühle, auf 600m Höhe gelegene Hügelstädtchen zu sichern. Mit dem nötigen (und vorhandenen) Kleingeld wurde ergänzend in Weinberge und -keller investiert. Problematisch war jedoch stets die fehlende klare Strategie. Während Monatalcino immer schon auf 100% Sangiovese als Rebsorte setzte, waren dies in Montepulciano nicht so ohne weiteres möglich. Montepulciano ist die deutlich kühlere Anbauzone, in den den 1990er teilweise zu kühl. Dann häufig Regen und Hagel, so dass die Sangiovesetraube (hier: Prugnolo Gentile genannt) manchmal Probleme mit der vollen Reife hatte. Vergleichbar dem benachbarten Chianti, ist auch der Vino Nobile auf den Verschnitt mit weiteren Rebsorten angewiesen.
Typisch toskanisch: Ciliegiolo, Colorino, Canaiolo und Mammolo
Jahrelang wurde die Toskana von Minderwertigkeitskomplexen geplagt: die Weine zu blass, zuviel Säure, die Rebsorten ’no names‘ und ohne sex appeal im internationalen Markt. Um die Jahrtausendwende wurde daher ‚wie Hulle‘ auf internationale Sorten wie Cabernet, Merlot und Syrah gesetzt. Das half den Weinen zunächst – sie entsprachen plötzlich dem, was international bekannt und beliebt war. Problematisch war jedoch, dass diese Weine zunehmend austauschbar wurden. Das wurde auch in Montepulciano erkannt. Man munkelt, dass über die Hälfte der Weinberge in den letzten 20 Jahren wieder neu gepflanzt worden sind. Merlot und Cabernet raus, historische Sorten rein. In Montepulciano gehen aber leider die Uhren etwas langsamer. Der Grund: die Zusammensetzung des Consorzio del Vino Nobile di Montepulciano. Fast 70% der reinen Traubenproduzenten liefern an die Genossenschaft ‚Vecchia Cantina‘. Diese erzeugt somit rund 30% der jährlichen Menge an Nobile – und verfügt daher über die Stimmenmehrheit im Consorzio. Absatzweg der ‚Vecchia Cantina‘ war historisch immer der Lebensmitteleinzelhandel in Italien, exzellente Qualität nicht erforderlich, eher ein guter (=günstiger Preis). Daher war das Consorzio (also die Vecchia Cantina) nie Motor für eine Qualitätsoffensive durch bspw. Mengenreduzierung.
Corona als Retter?
Mit Corona brach auch der Tourismus in Montepulciano ein. Hinzu der harte lock-down, wo keine Weine über den Lebensmittelhandel vertrieben wurden. Montepulciano ersoff förmlich in einem Meer an nicht verkauften Wein. Der Genossenschaft ging es schlecht, richtig schlecht. Als Retter wurde der beliebte Ex-Bürgermeister Andrea Rossi (selbst Winzer) in das Präsidentenamt gehoben. Und keine 2 Monate später ebenso zum Präsidenten des Consorzio gewählt. Rossi verfolgt eine konsequente Qualitätspolitik und weiss viele junge Menschen in den Betrieben hinter sich. Die Aufbruchstimmung ist gewaltig, der Glaube an eine Wiedergeburt des Vino Nobile lebt!
Und wie ist er, der Vino Nobile?
DEN Vino Nobile gibt es sicherlich, das Anbaugebiet ist aufgrund der zahlreichen Hügel und unterschiedlichen Bodenformationen extrem heterogen. Hier sind es eher Philosophie und Handschrift der Betriebe, die den Wein prägen. Sehr schön, dass wir hier genauso junge Jahrgänge (2019) wie auch ältere (2016) verkosten durften. Der große Unterschied zum Brunello: die nur halb so lange Reifezeit! Statt wie beim Brunello vier Jahre, sind es beim Vino Nobile nur 24 Monate (entweder komplett im Holzfass oder 18 Monate Fass plus 6 Monate Flaschenreife). Somit ist ab 1. Januar 2023 bereits der Jahrgang 2020 marktfähig.
Das Weingut Contucci macht den Vino Nobile so klassisch wie eh und je. Wer traditionellen Nobile verkosten möchte, wird Contucci lieben. Bindella hat mich sehr positiv überrascht. Früher empfand ich die Weine sehr ‚mainstreamig‘ (kein Wunder, die Schweizer Bindella-Gruppe verfügt in der Schweiz über 40 eigene Restaurants plus einen schon lange etablierten Weinhandel, u.a. mit den Weinen von Antinori). Zwar ist der Vino Nobile immer noch sehr weich & rund, aber mit Luft entwickelt sich ein schöner, würziger Charakter. Wer’s trinkig und lecker, dabei aber nicht langweilig mag, greift zum Bindella Nobile (Tenuta Vallocaia). Absolute Überraschung der ‚Arya‘ vom Weingut Manvi. Zwei ‚Aussteiger‘ mit indischen Wurzeln zaubern einen Bio-Nobile aus den Weinbergen, der so richtig vor Charakter strotze, dabei aber nie anstrengend oder freakig daher kam. Toller Wein. Als ‚älteren‘ Wein habe ich noch einen 2016er Nobile von de Ricci reingeschmuggelt, den wir aktuell als einzigen Vino Nobile im Sortiment führen. Ricci ist die historische Ex-Kellerei Redi, die von der Familie Trabalzini von Grund auf erneuert wurde. Die neu gepflanzten Weinberge kommen so langsam in den Ertrag, die Weine sehr elegant und werden Jahr-für-Jahr immer besser. Eher auch traditioneller Stil wie bei Contucci. Preislich ungefähr 1/4 eines Brunello. So sind die aktuellen ‚Machtverhältnisse‘ in der südlichen Toskana.
Blind habe ich dann noch etwas ‚Älteres‘ in die Verkostung geschmuggelt. Natürlich viel zu kalt aus dem Lager geholt (ca. 10°), in der Karaffe mit heissem Wasser überspült, so richtig Fachmann halt…
Kein Teilnehmer hat den Wein in ein anderes Jahrtausend getippt. Die ältesten Nennungen liefen auf Jahrgang 207 hinaus. De facto war es ein 1995er Vino Nobile von Giulio Corporali/ Tenuta Valdipiatta. Anfangs etwas ’schweissig‘ und animalisch in der Nase, im Mund herrlich jung und frisch (so dass die Tipps ‚max 2007‘ durchaus gerechtfertigt waren!). Mit Luft und zunehmender Wärme wunderbar klassisch, ein tiefer Wein mit Würze, Kraft und Eleganz. Natürlich keine Fruchtbombe, sondern eher der gediegene Essensbegleiter.
Und das Fazit:
Der Faszination Brunello konnten und wollten sich auch die Teilnehmer nicht entziehen: sämtliche Flaschen bis auf den Bodensatz geleert! Das war beim Vino Nobile nicht ganz so. Möglicherweise liegt es dann doch daran, dass man sich die Schlücke der teuren Weine nicht entgehen lassen will? An der der Qualität würde ich es persönlich nicht festmachen, da gab es gleichberechtigte high-lights aus beiden Orten. Claudia Ferrero toll, aber Manvy ebenso. Und obwohl die Brunello durch die Bank doppelt so teuer wie die Vino Nobile waren, kann ich persönlich nicht behaupten ‚die waren auch doppelt so gut!
Generell ist es schön zu sehen, dass die Rückbesinnung auf die traditionellen Sorten plus der Ausbau im großen Holzfass wieder zu einem Alleinstellungsmerkmal führt: so schmeckt Toskana!