Projekt ’Kloster-Wein‘

Von der Theorie in die Praxis

Von der Theorie in die Praxis: jetzt haben wir uns als Weinhändler über Jahre mit dem fertigen Getränk ‘Wein’ befasst, haben immer wieder ‘mal so nebenbei’ punktuell im Weinberg mitgearbeitet. Aber irgendwann sticht einen der berühmte Hafer, da möchte man einen Weinberg schlichtweg nicht nur punktuell begleiten, sondern Beteiligter eines kompletten Vegetationszyklus sein. Vom Rebschnitt, über den Sommer bis hin zum Finale, der Weinlese. Lange reifte daher die Überlegung, einen kleinen Weinberg bzw. eine Parzelle  in einer klassischen Anbauregion zu pachten oder zu kaufen. Die Mosel mit ihren faszinierenden Steillagen ist bspw. gerade einmal 1-2h Autofahrt entfernt.

Romantik versus Alltag

Nun sollte man jedoch beachten, dass ein Weinberg und die Natur ihre ganz eigenen Gesetze haben. Oder ganz profan ausgedrückt: es ist nicht gerade wenig Arbeit … und je nach Wetterkapriolen muss auch mal spontan und schnell sein.
Bodenbearbeitung, Reberziehung an Stickeln oder Drähten, Schnitt und Reberziehung, Pflanzenschutz und Laubarbeit, Ernte und Rebschnitt – dies alles ist (zumal für einen Laien…) nicht mal eben mit links und in einer schnellen Minute erledigt. Somit wurde trotz aller romantischen Sehnsüchte das Projekt ‘Steillagenweinbau’ (zum Glück!) bisher nicht realisiert. An dieser Stelle eine große Verneigung vor allen ‘Helden der Steillage’, insbesondere den Saisonkräften, die bei Wind und Wetter, bei Hitze und Sonnenschein mit geradezu unfassbarer Physis und Engelsgeduld Tag-für-Tag im Weinberg rein klotzen.

Piwi – eine Chance nicht nur für den Hobbywinzer

Zum Glück bin ich im Jahre 2018 auf der Wein-Fachmesse Prowein über das Thema ‘PiWi’ gestolpert. Diese Abkürzung steht für ‘Pilzwiderstandsfähige Rebsorten’, die auch Hobbywinzern wie mir, in klimatisch schwierigen Gebieten ermöglichen, Weinbau zu betreiben. ‘PiWi’ sind Neuzüchtungen, deren Ziel es ist, so robust zu sein, dass es nahezu keinen Pflanzenschutz braucht und sie somit bestens für den ökologischen Anbau geeignet sind.
PiWi eröffnen aber auch ganz neue Perspektiven im Klimawandel: möglicherweise brauchen wir in Deutschland zukünftig ergänzende/ alternative Sorten, weil bisherige Rebsorten nicht mehr mit den sich ändernden Standortbedingungen klar kommen?
Somit ist für die Piwi-Sorten eine weitere Anforderung ganz klar: sie soll nicht nur robust sein, sie soll auch noch so gut schmecken, das der Weinkenner diese Rebsorten ernsthaft akzeptiert!
Inzwischen ist die Szene international vernetzt, universitäre Forschungsinstitute sind genauso engagiert wie Rebschulen. Mutige Winzer gehen in den Versuchsanbau oder schwenken bereits komplett auf PiWi um. Urplötzlich entstehen Weinberge in Zonen wie der Eifel, im hohen Norden Deutschlands und auch jenseits der Flusstäler in BeNeLux. Möglicherweise ist dies der Beginn einer kleinen Revolution im internationalen Weinbau?
Revolutionäre Gedanken waren bei mir weniger treibend als vielmehr die ganz banale Überlegung ‘was kann hier im Rheinland reifen?’ Die Rebschule von Volker Freytag aus der Südpfalz ist eine der treibenden Motoren in der PiWi Szene. Zusammen mit dem Schweizer Winzer und Rebzüchter Valentin Blattner sind hier eine Fülle von neuen Rebsorten entstanden. Im engen Austausch mit der Rebschule Freytag haben wir unsere Standortbedingungen geprüft und uns mit 8 verschiedenen PiWi-Züchtungen in die Freiheit als Hobbywinzer entlassen. Natürlich nicht ohne jede Menge Dokumente und Lagepläne zu erstellen…

PiWi in Geistingen

Der Bereich im Kloster Geistingen, wo unsere Weinhandlung und das Wohnhaus unter Aspekten des Denkmalschutzes im Jahre 2010 restauriert wurden, bildeten früher den Bauernhof und die Gärtnerei des 1902 erbauten Klosters ab. Mit Fug & Recht können wir behaupten: der Weinbau als Teil der Landwirtschaft kehrt wieder an seinen historischen Ursprung zurück. Da die Patres wirklich absolute Experten in der Agro-Kultur waren, konnten wir wirklich auf einen Fundus an guten, humushaltigen Böden zurückgreifen. Wir haben uns schliesslich für eine Parzelle entschieden, wo wir der Meinung waren, dass der Frost nicht staut sondern gut abfliessen kann. Nach den bisherigen Jahrgangsverläufen bleibt zu konstatieren: Theorie und Praxis klaffen manchmal eklatant auseinander…
Mag man alten Schriften glauben, wurde historisch betrachtet in Geistingen bereits im Jahre 885 nach Christus Weinbau betrieben. So findet sich auch heute noch im Hennefer Stadtwappen ein Löwe mit einer Traube im Maul wieder, im Ortsteil Stadt Blankenberg existiert eine restaurierte Kelter aus dem 17. Jahrhundert, es gibt einen Ortsteil mit dem Namen ‘Weingartsgasse’ – die Beweise sind also geradezu erdrückend, dass in Hennef immer schon  Weinbau betrieben wurde!
Zeitgleich zu unserem Weinprojekt gründete sich auch ein Winzerverein in der Stadt Hennef, zu deren Gründungsmitgliedern wir zählen. Eine brachliegende Parzelle im Ortsteil Weingartsgasse hoch oberhalb des Flusses Sieg wurde vom Winzerverein ‘Wingfründe e.V.’ gepachtet und ebenfalls mit PiWi-Sorten von Volker Freytag bestockt.
Nicht unerwähnt lassen möchten wir Walter Keuenhof aus Stadt Blankenberg. Walter hat bereits im letzten Jahrtausend mit der Rekultivierung von Weinbergslagen an der Stadtmauer im Ortsteil ‘Stadt Blankenberg’ begonnen und ist somit der ‘Urvater’ der Wiederbelebung des Weinbaus im Stadtgebiet Hennef.
In den 1980er Jahren waren PiWi-Rebsorten noch vollkommen unbekannt, so dass Walter Keuenhof in seinem Wingert Müller-Thurgau Reben gesetzt hat, die inzwischen ein stattliches Alter von über 30 Jahren haben. Während Walter zu Beginn seiner Tätigkeit noch massiv mit kalten und nassen Jahrgängen so seine Probleme hatte, haben  sich die klimatischen Bedingungen über die wenigen Jahrzehnte komplett gewandelt…

Neuanlage im Kloster mit PiWi-Rebstöcken im Frühjahr 2019.
8 verschiedene PiWi-Sorten ergeben total 50 Rebstöcke in Geistingen.
Regelmäßige mechanische Bodenbearbeitung statt Chemie.
Wir haben uns für die ‘Einzelpfahl’-Reberziehung entschlossen.

Das Klima macht uns zu schaffen

Als wir in 2019 mit der Anlage des Weinberges begonnen haben, wussten wir nicht was uns erwarten wird: wir starteten mitten in mehrere viele zu warme & trockene Jahrgänge  hintereinander. Auf der einen Seite waren die trockenen Frühjahre und Sommer natürlich Gift für Neupflanzungen. Auch die Winter waren durchgängig zu trocken, mässiger Regen und ausbleibender Schnee. Wir hier in Geistingen hatten aufgrund des hohen Humusanteil und der grasfreien Begrünung nicht ganz so große Probleme, so dass ich jenseits einer anfänglichen Bewässerung glaubte auf die Kraft der Rebe setzen zu können.
In Weingartsgasse mit kompletter Südausrichtung des Steilhanges hingegen war der große Grasanteil in der Weinbergsbegrünung ein absoluter Killer. Gras ist ein Wasserkonsument vor dem Herrn und verhindert durch sein engmaschiges Wurzelgeflecht das der knappe Niederschlag in größere Tiefen vordringen kann. Eine weitere ‘Klimakapriole’ kam erschwerend hinzu: die viel zu milden Winter mit zahlreichen Sonnentagen. Viele erinnern sich an die milden Februar und März Temperaturen, welche die Natur ( viel zu) früh aus den Startlöchern brachte. Mit Ausnahme von 2021 sind wir in Geistingen komplett vom Nachtfrösten betroffen gewesen – in einer Phase wo die Pflanzen bereits zu sehr in ‘Frühlingsgefühlen’ schwelgten. Der kühle, nasse und verzögerte Jahrgangsverlauf in 2021 (der früher genau so in unserer Region eigentlich normal war) konnte hingegen den Reben nichts anhaben. So stehen unsere jungen Reben zum ersten Mal seit Pflanzung wirklich grün & vital im Wingert. Auch die Rebblüte erfolgte erst Mitte Juni  und nicht wie bspw. in 2020 Ende April!
In Weingartsgasse war ebenfalls die Kombi aus Trockenstress und Spätfrost ein limitierender Faktor, so dass in 2021 knapp 1/4 der Reben neu gesetzt werden mussten. Hier haben wir uns auch zu einem komplett anderen Bodenmanagement entschlossen um Humus aufzubauen, eine grasfreie Weinbergsbergsgrünung zu fördern und das Mikroleben im Weinberg zu fördern. Dies bedeutet Fräsen, Hacken, Wolf-Saat einsäen, Gras entfernen und immer wieder mulchen… Wie hieß es doch gleich am Anfang: Romantik versus Alltag…

Beweisstück Unterhose

Im Frühjahr 2021 hatte ich im Deutschlandfunk von dem Bürgerwissenschaftlichen Forschungsprojekt ‘Beweisstück Unterhose’ gehört. Dieses Projekt kam genau zu der Zeit, wo ich mir Kopfzerbrechen über eine Verbesserung im Weinbergsmanagement machte. Somit haben auch die 2 Hennefer Weinbergsprojekte in Geistingen und Weingartsgasse aktiv Unterhosen im Boden verbuddelt und mit vollem Elan beobachtet, was sich im Boden rund um den Feinripp so tut…
Wichtige Erkenntnis war, dass Humus und ein aktives Bodenleben ganz schön am Stoff nagt. Mehr noch: der humose Boden (Geistingen) ist deutlich lockerer und zugleich aber auch feuchter und kühler. Er scheint Niederschläge besser aufnehmen und auch speichern zu können. Wir haben daher in Weingartsgasse umgehend begonnen dem Boden ein viel höheres Augenmerk zu schenken. Schon wenige Wochen nach mechanischer Bearbeitung, nach Einbringen eines Bodenaktivators und dem Entfernen von Grasnarben am Stockbereich dankten dies die Reben mit einer völlig neuen Vitalität. Somit kann auch die künstliche Bewässerung in diesem Weinberg zukünftig komplett entfallen.

Das erste ‘Beweisstück’ in Weingartsgasse nach 4 Wochen.

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