Ohne Alkohol – geht das?

Ist es der Wunsch nach einer gesünderen Lebensweise? Alkoholfreie Getränke erleben seit einigen Jahren einen wahren Boom. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes Holger Eichele rechnet damit, dass schon bald jedes 10. in Deutschland gebraute Bier ‚alkoholfrei‘ sein wird (ZDF, Juli 2023). Isabella Steiner führt im hippen Berlinger Bergmannkiez sogar einen ‚Null-Prozent-Späti‘. Der Begriff des ‚mindful drinking‘ macht insbesondere in jüngeren Generationen die Runde. Häufig steht bei alkoholfreien Getränken ‚die bewusste Ernährung‘ im Vordergrund – und hier ganz konkret: der Verzicht auf Kalorien.

Alkohol – eine Sache des Geschmacks

Das große Problem, vor dem alle Hersteller stehen: Alkohol ist Geschmacksträger – und lässt sich nicht mal eben ‚easy‘ imitieren. Beim Bier empfinde ich die Ergebnisse inzwischen schon sehr überzeugend. Bei Spitzenbieren (nicht die sog. ‚Fernsehbiere‘) habe ich extreme Schwierigkeiten sensorisch auf ‚mit Alkohol‘ bzw. ‚ohne Alkohol‘ zu tippen. Der Grund: bei richtig guten Bieren ist der Hopfen der Geschmacksträger bzw. -verstärker. Über das ‚dry hopping‘ bzw. Hopfenstopfen gelangen Würze und Aromen ins Bier – und lassen den Alkohol nahezu als komplett überflüssig erscheinen. Beim Wein besteht diese Möglichkeit nicht: ich entnehme etwas (Alkohol), habe aber nicht die Möglichkeit etwas hinzu zu geben. Ausnahme: ich könnte über Süße den Geschmack beeinflussen, aber gerade das ist ja eigentlich nicht gewollt, Stichwort ‚Kalorien‘.

Die Herstellung von alkoholfreiem Wein

Zunächst müssen wir uns kurz der Terminologie widmen: es gibt keinen alkoholfreien Wein! Alkoholfreier Wein ist gleich Traubensaft. Erst wenn der Traubensaft vergärt (Fructose und Glucose wandeln sich in u.a. in Alkohol und Co2 um) entsteht Wein. Möchten wir Wein ohne Alkohol, müssen wir zwangsläufig dem Wein wieder Alkohol entziehen. Doch wie geht das?
Als bislang effektivste und schonendste Methode hat sich die spinning cone Technik erwiesen. Diese ‚Schleuderkegelkolonne‘ wurde in der sog. Neuen Welt bei der Weinbereitung schon länger eingesetzt (bspw. um Alkoholgrade zu reduzieren), galt aber in unserer traditionellen und historischen europäischen Weinwelt als ‚Teufelszeug‘. Erst das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hat diese Methode zunehmend bekannter gemacht – und Sorgen ausgeräumt. In den Köpfen geisterte immer die Vorstellung von ‚Frankenstein’s Labor‘, in dem ein Wein in seine einzelnen klitzekleinen Bestandteile zerlegt wird – um ihn dann nach einem vorgegeben sensorischen Profil wieder zusammen zu bauen. Entwarnung: DAS funktioniert so nicht.
Wo die spinning cone column jedoch gute Dienste leisten kann, ist bei der Separierung von Alkohol als Bestandteil von Wein. Durch rotierende Kegel wird ein dünner Flüssigkeitsfilm erzielt bei der eine Dampf-Flüssigkeitsphase entsteht und so bspw. Alkohol und Aromen getrennt werden. Im Anschluss füge ich dem ‚Wein ohne Alkohol und Aromen‘ wieder die Aromen aus dem Separiertank ‚Aromen‘ zu. Der ‚Separiertank‘ Alkohol hingegen findet keine Verwendung mehr.
Mit dieser Methode wurde und wird u.a. in Kalifornien schon seit Jahrzehnten Wein ‚gemacht‘: hier stand jedoch nicht der ent-alkoholsierte Wein im Vordergrund sondern eine Reduktion des Alkohols. Denn – und das merken wir in den heissen Jahren zunehmend in Europa – die Weine entgleiten uns im Alkohol. Und das mit gravierenden Folgen: Alkohol ist zwar Geschmacksträger, aber ab einem bestimmt Punkt kippt das Ganze. Die Wahrnehmbarkeit der Aromen eines Weins geht mit steigenden Alkoholgehalten deutlich zurück, das heisst, ein Wein riecht und schmeckt neutraler. Wird der Alkoholgehalt nun abgesenkt, so wird die Flüchtigkeit und damit die Wahrnehmbarkeit der Aromen sehr stark erhöht beziehungsweise verbessert. Das wussten die Kalifornier und Australier schon recht früh – und ‚machten‘ daher ihre Weine dementsprechend. Wir können also festhalten: die ’spinnig cone column‘ ist ein bewährtes und etabliertes Gerät um Weine im Alkoholgehalt zu reduzieren. Aufgrund ihrer Eigenschaft scheint sie weiterhin die aktuell beste und schonendste Möglichkeit um Weine komplett zu ent-alkoholisieren .

No Alcohol und Bio-Wein

Wer sich auf die Suche begibt, wird sozusagen komplett nicht fündig. Der Grund ist massiv simpel: Fehler in der Bürokratie. ‚Die Neuregelungen zu alkoholfreiem Wein der EU im Dezember 2021 brachten auch eine gravierende Änderung für biologische/ökologische entalkoholisierte Weine. Diese wurden aufgrund eines mutmaßlichen Versehens in der EU-Rechtssetzung vergessen. Die Entalkoholisierung hätte in die sogenannte Öko-Verordnung aufgenommen werden müssen.‘  (Quelle: Meininger Verlag, 13.09.2023)
Es liegt also weder an der Technik der Entalkoholisierens noch an einer etwaigen Zugabe von Stoffen. Der Gesetzgeber hat schlichtweg ‚gepennt‘ und muss nun nachbessern: ‚Bis zur Einführung der Entalkoholisierung in die Öko-Verordnung (eventuell im Q2 2024) ist es aufgrund des europäischen Rechts nicht möglich, einen alkoholfreien Biowein (unabhängig von der Verkehrsbezeichnung) zu erzeugen, abzufüllen und in den Verkehr zu bringen.‘ Bereits erzeugte Produkte haben hier einen Bestandsschutz.

Wie schmecken die Weine?

Ich probiere diese Weine bei jeder Gelegenheit, die sich mir bietet. Auch ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Trend un-umkehrbar ist und auch ich würde mich freuen, wenn ich bei geschäftlichen Terminen und als Autofahrer halt nicht zum Wasser greifen muss – sondern eine geschmackliche Alternative hätte. Gerne gebe ich zu, dass es Fortschritte gibt: waren die ersten Exemplare so vor ca. 10 Jahren noch nahezu ungeniessbar, so ist die Entwicklung erfreulich. Es wird deutlich besser. Ich vergleiche das mit den ersten alkoholfreien Bieren (Clausthaler?) und dem heutigen Qualitätsstandard. Ergänzend muss ich einfügen: von wo komme ich eigentlich? Trinke ich sonst bei Wein Lagen-Rieslinge, Barolo oder gute Rioja, dann ich gehe ich natürlich mit einem komplett anderen sensorischen mind-set an die Sache ran. Werde ich jedoch mit dem Geschmacksprofil der alkoholfreien Getränke als junger Mensch sozialisiert, ist die Enttäuschung m.E. sehr begrenzt.

Entalkoholisierte Weine und Sucht

Ich werde es nie vergessen: ich habe mal bei einer Messe 3 frisch gezapfte ‚Der Kapitän‘ am Stand der ‚Landgang Brauerei‘ getrunken. Auf die Frage ‚möchtest du noch Eins?‘ entgegnete ich ‚Danke dir, aber ich muss ja gleich noch fahren!‘. Zur Erläuterung: ‚Der Kapitän‘ ist ein alkoholfreies Pale Ale. Mein Gehirn war jedoch sensorisch so getriggert, dass ich voll auf der Wahrnehmung ‚Alkohol‘ war. Wer also Suchtprobleme hatte bzw. alkoholabhängig war, dem würde ich eher raten nicht auf entalkoholisierte Weine oder Biere zu setzen. Ich hätte wirklich Bedenken, dass hier vermeidbare Konflikte entstehen.

Unsere Weine & Sekte ohne Alkohol

Aus Spanien der ‚refreshing sparkling drink‘ von Villa Conchi. Man vermutet es bereits an der Namensgebung: dieses Getränk darf den Namen ‚Cava‘ nicht tragen, da es eben nicht den Regulativen für spanischen Sekt entsprechend hergestellt wurde. Die Form der Flasche, der Sektkorken – alles lässt einen ‚Cava‘ vermuten – aber nein, es ist keiner. Geschmacklich vollkommen OK, die Kohlensäure trägt den Geschmack.

Aus Südafrika kommt der ‚Shortstreet‘, ein mit der ‚Schleuderkegelkolonne‘ entalkoholsierter Shiraz. Mit Luft schön rauchig und würzig, angenehm trocken, Das ist auch nicht schlechter, als das was man in manch einem Restaurant im ‚offenen Ausschank‘ als Rotwein mit Alkohol serviert bekommt. Wäre ich auf Restaurantbesuch und müsste das Auto bewegen – ich wäre damit komplett happy!

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