Wein aus Franken: mehr als nur Bocksbeutel

Vor einigen Wochen hatte ich das große Glück, von 13 verschiedenen WinzerInnen aus Franken je 2 Silvaner zu probieren. Das Schöne an der Geschichte: die Weine wurden ‚blind‘ probiert, berühmte Namen hatten somit keine Chance auf Vorschuss-Lorbeeren. Und in der Tat: unter meinen „Top 3“ waren allesamt Betriebe, die ich a) noch gar nicht kannte und die b) von der jungen Generation geführt werden. Die Stilistik hat mich begeistert, alle drei komplett unterschiedlich. Bio genauso wie auch konventionelle Betriebe. Jungs und Mädels.
Eigentlich finde ich es viel zu schade, dass wir hier im Rheinland das Anbaugebiet Franken so mehr oder weniger überhaupt nicht auf dem Schirm haben. Und wenn, dann geistert immer noch das Klischee ‚Franken, das Land mit Silvaner im Bocksbeutel‘ hartnäckig umher.

Nah – und doch so fern

Warum ist das so? An der Distanz kann es nicht liegen – an den Main ist es von Köln/ Bonn aus auch nicht weiter als bis in die Pfalz. Sicherlich ist die Größe des Anbaugebietes und damit die Verfügbarkeit von Weinen ein Hinweis auf den Bekanntheitsgrad. De facto verfügt Franken mit 6400 Hektar Anbaufläche gerade einmal über 1/4 der Anbaufläche wie bspw. die populäre Pfalz.

Fränkisch trocken

Es gibt Vorurteile, die halten sich hartnäckig. Ihre Halbwertzeit scheint unendlich. ‚Riesling ist sauer‘ fällt mir da spontan ein. Als würden heute noch flächendeckend Rieslinge so vinifiziert wie in den 1970er Jahren.
‚Frankenwein ist zu trocken‘. Ja, auch diese Stilistik gab und gibt es. Wenn ich richtig informiert bin, sind für die Stilistik ‚fränkisch trocken‘ 4g Restzucker je Liter Wein erlaubt. Das macht manch einen Silvaner recht knackig und puristisch – und für den hopp, hopp Konsum eher ungeeignet. Aber Weine aus dem Rheingau oder von der Mosel sollten auch einige Jahre reifen, bevor sie ihr sensorisches Genussfeld öffnen. Warum erlauben wir dies nicht auch den fränkischen Weinen? Und das Franken nur aus ‚Fränkisch trocken‘ besteht ist wirklich ein komplett ausgeleiertes Vorurteil. Franken’s Weinwelt ist bunt, divers, traditionell und modern zugleich.

Junge fränkische WinzerInnen prägen eine neue Stilistik

Unter meinen ‚Topp 3‘ waren interessanterweise Betriebe, die eher klein und / oder neu sind. Nur ein Betrieb liegt direkt am Main, ein weiterer in Mittelfranken und vollkommen unbewusst bin ich sogar in Unterfranken gelandet.

Weinbau Six – Silvaner, dort wo man ihn nicht vermutet

Ich -in meinem eindimensionalen Denken- verorte den Weinbau in Franken an den Main. Würzburg, Randersacker, Volkach, Schwarzach, Sommerach, Sommer- und Winterausen. Ortsnamen, die uns Weinbegeisterten zumindest phonetisch bekannt vorkommen. Und sich schön idyllisch am Main entlang schlängeln. Passt perfekt in die Imagebrochüren der Weinwerbung und Totoreportagen. Aber der Main scheint mitnichten der einzige Fluss in Franken mit Bezug zum Weinbau zu sein.
Ich wusste gar nicht, dass es den Fluss ‚Saale‘ auch in Franken gibt. Diese ‚Fränkische Saale‘ entspringt n Thüringen, macht eine Tour durch die Rhön, und fließt nach ca. 150km in den Main. Unterhalb von Bad Kissingen fließt die Saale beispielsweise an Wirmsthal vorbei. Bis Würzburg an den Main sind es von hier über die A7 knapp 60 Kilometer.
Wirmsthal, ein kleiner Ort, wo der Gasthof noch ganz klassisch ‚Zum Hirschen‘ heißt, so wie es sich in Unterfranken gehört. Und hier gibt es Weinbau? Ich fühle mich gerade wieder so furchtbar unwissend – und bin zugleich dankbar, hier eine Wissenslücke schließen zu können.
Nur 3 Hektar habe die Gebrüder Oliver & Daniel Six in der Bewirtschaftung und daher sind auch nur geringe Mengen verfügbar. Die Lage ‚Wirmsthaler Scheinberg‘ mit perfekter Südausrichtung und Muschelkalk-Böden. Dazu ringsherum bewaldet, was im Zuge der Klimaerwärmung möglicherweise ein Vorteil ist oder sein wird. Sozusagen ‚cool climate‘ in Franken.
Neben Silvaner wird u.a. auch Müller Thurgau und Bacchus angebaut. Rebsorten, die woanders aus Gründen der ‚Perspektivlosigkeit‘ ausgerupft worden sind. Natürlich, wenn man Müller und Bacchus im Ertrag so quält, dass das Rebholz ächzt, dann kann das nix werden. Behandelt man diese Rebsorten mit der Sorgfalt, wie man auch Riesling, Silvaner oder Weissburgunder behandelt – ja dann steht dem Genuss nichts im Wege. Ein Bacchus feinfruchtig ausgebaut – why not? Mit dem Bekenntnis zum Bacchus haben die jungen Betriebe möglicherweise ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Weinbau. Weiter so!
Fü mich persönlich ist aber der 2018er ‚Wirmsthaler Scheinberg‘ Silvaner DAS Ding der Six-Brothers. Ich habe diesen Wein jetzt mehrmals über Wochen beobachtet. Ich gebe zu: das ist erst mal nix für den schnellen Schluck. Frisch geöffnet, hat mich dieser Wein in der Blindprobe sogar enttäuscht. Da wirkte er für mich schon zu reif, es fehlte Kick & Spannung. Aber nicht vorschenell urteilen, Herr Wirtz: der Wein braucht einfach nur massiv Luft um sich zu öffnen. Inzwischen ist es einer meiner Lieblingsweine: wenn dieser Wein 1-2 Wochen offen ist, offeriert er einen Mix aus Eleganz, Tiefe, Saftigkeit und subtiler Frucht, dass ich davon eine Badewanne voll trinken könnte. Als Speisebegleiter eine wahre Offenbarung! Nun ist natürlich die Krux: wer macht schon eine Flasche Wein 1-2 Wochen vorher auf.
Da gibt es nur 2 Möglichkeiten.
A) man dekantiert den Wein 1-2 Stunden vorher.
B) es ist stets in einer Art rollierendem System eine Flasche geöffnet im Kühlschrank

Persönlich finde ich Variante B) sehr charmant. Zumal dieser Wein auch kein Vermögen kostet: 6 Liter Super-Benzin sind aktuell teurer…
Nicht unerwähnt lassen möchte ich den ‚einfachen‘ Silvaner ‚Muschelkalk‘. Wobei Sie sich unter ‚einfach‘ bitte nicht ‚einfach‘ vorstellen dürfen. Auch dieser Wein braucht Aufmerksamkeit, ein Silvaner, der permanent Signale an unser Hirn sendet. Ich vermute hier ein langes Hefelager, welches Schmelz und Cremigkeit verleiht. Dazu die Mineralität aus den Muschelkalkböden. Mit diesen beiden Interpretationen des Silvaner spielen für mich die Gebrüder Six ganz, ganz weit oben in der Liga fränkischer Silvaner.

Lukas Schmidt – das Paradies liegt in Bullenheim

Mit Lukas Schmidt rücken wir deutlich näher an den Main. Etwa 15 km südlich von Marktbreit, dort wo die A7 den Main überquert, liegt der Ort Bullenheim. Und Bullenheim hat sein persönliches ‚Paradies‘. Genaus so heisst die mit 65 Hektar größte Weinbaulage Mittelfrankens. Die Weine von Lukas unterscheiden sich komplett von denen der Gebrüder Six. Zum Einen sind wir in einer klimatisch wärmeren Zone, zum Anderen vinifiziert Lukas auch deutlich mehr in Richtung fruchtige Stilistik. Mögen seine Etiketten auch etwas dunkel erscheinen, so sind die Weine sensorisch bunt und voller Lebensenergie. Gerade bei den Sorten Muskateller und Scheurebe, aber auch beim Bacchus (auch nicht ausgerupft!) kitzelt Lukas die Aromen genauso heraus, dass es niemals anstrengend, puffig oder too much wird. Absolut sortentypisch, niemals anbiedernd. Der Silvaner aus der Linie ’second flight‘ ein Wein mit Würze & Länge, fast schon opulent am Gaumen.

Meine persönliche Topp 3

Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen: mein erster Kontakt mit diesen Betrieben war eine Silvaner Blindprobe. Ich wusste also nicht ob jung oder alt, Männlein oder Weiblein, VDP-Betrieb oder start-up. Ich hatte nur je 2 Silvaner der teilnehmende Betriebe im Glas und durfte oder musste entscheiden. Unter 13 Betrieben habe ich meine persönliche Topp 3 gewählt. Die Gebrüder Six mit ‚Silvaner wie im Burgund‘, Lukas Schmidt aufgrund der präzisen Klarheit und der Frucht. Und dann kam die Steffi auf die Bühne…

Der Laudensbach – jetzt wird’s herrlich verrückt und exotisch

Kommen Sie mit mir nach Frickenhausen an den Main. Also direkt am Main. So wie es auch meiner naiven Franken-Vorstellung entspricht.
Der ‚Laudensbach‘ ist hierbei ein Fabelwesen, kreiert von den Gebrüdern Reiner & Rolf Laudenbach. Mit ganz viel Humor & Lässigkeit haben die gebürtigen Frickenhausener dieses Weingut übernommen bzw. eher neu gegründet. Betriebsleiterin ist die junge Steffi Fröhlich – und ich habe den Eindruck, sie darf in dem Weingut machen was sie will. Klaus Wowereit würde an dieser Stelle sagen ‚und das ist auch gut so!‘
Ich gebe zu: in der Blindprobe fiel Laudensbach komplett auf. What the hell is that?!? Das war nicht blitzsauber in der Nase, Aromen von Sponti-Gärung (früher nannte man das ‚Böcksern’…). Im Mund hingegen eine Fülle, ein Extrakt  und eine Würze, die sowas von neugierig machten. In keiner Phase easy drinking, hier waren Gerbstoffe und Dichte im Mund Programm. Steffi macht eine Maischegärung, also im Unterschied zur ’normalen‘ Mostgärung beim Weisswein sind Beerenhäute, Kerne, evt. Stile mit am Start. Diese pflanzlichen Bitterstoffe prägen dann einen Weisswein genauso wie einen Rotwein (wo die Maischegärung Standard ist). Für den normalen Weinkonsumenten mag dies zunächst irritierend sein, der spontane Reflex ‚das schmeckt mir nicht‘ kann durchaus kommen. Aber glauben Sie mir: man gewöhnt sich daran. Ich nenne es die ‚Evolution des Trinkens‘. Alles das, was für uns erst einmal neu und ungewohnt ist, beladen wir mit Skepsis & Argwohn. Das hat uns (bzw. unseren Urahnen, die mit Faustkeil und Lendenschurz…) in der Evolution den sprichwörtlichen Arsch gerettet. Diesen Reflex haben wir aber genetisch immer noch in uns. Siehe bspw. das Vorurteil Riesling = Säure = Speiseröhre löst sich auf = Todesurteil.

Wenn Sie an dieser Stelle glauben, ich möchte eine Lanze für Steffi und den Laudensbach brechen: ja, das tue ich. Das die Gebrüder Laudenbach hier eine junge Winzerin derart stilistisch von der Leine lassen, hat meinen allergrößten Respekt. In einer ökonomisch geprägten Welt schaut man tendenziell auch im Weinbau auf den Roi (return on invest) bzw. salopp gesagt: die Kasse muss klingeln. Hier beim ‚Laudensbach‘ wird Bio gemacht, es wird herrlich anders in Weinberg- und Keller gearbeitet. Gepaart mit einer riesigen Dosis Lässigkeit und Humor. Genau das ist für jede Weinregion dieser Welt das Salz in der Suppe. Das wird sich eventuell nicht sofort ‚rechnen‘, aber in mittelfristiger Perspektive wird in meinen Augen ‚Laudensbach‘ eine Adresse für Frankenwein, an der man nicht vorbei kommt. Eigentlich müsste die Hipster-Generation rund um Natural/Bio/Sponti (die Angesprochenen können die Begrifflichkeit schon einsortieren) in Berlin, Hamburg und Köln schon jetzt hysterisch werden…
Meine Favoriten: der ‚Blaue Silvaner‘ als Exot, die Scheurebe als ‚leise Scheurebe‘, Silvaner ‚Alte Reben‘ mit Druck am Gaumen bis zum Morgengrauen. Und man glaubt es kaum: der Rotwein ‚Flurfreunde‘ ist für mich sowas wie ein Bardolino oder Beaujolais Villages aus Franken. Leicht gekühlt im Sommer, herrlich trocken und niemals ermüdend.

Franken im Rheinland – da ist noch ein Sack voll Arbeit

Für mich war die spannende Frage: wird die Kundschaft aus meinem Einzugsgebiet meine Euphorie und Neugier teilen können? Ich bin ehrlich: das Franken nicht DAS Zugpferd schlechthin sein wird, dass war mir klar. Der Bekanntsheitsgrad ist leider nicht ausgeprägt. Dennoch hätte ich mir mehr Neugier erhofft – zumal es die Weine und die damit verbundenen Menschen verdient hätten. Hier trifft Qualität auf Originalität und Individualität. Die Weine sind besonders, ihre Charakteristik einzigartig in Deutschland.
Andererseits kann ich mich auch in die Kundschaft hinein versetzen: täglich, stündlich, minütlich prasseln über alle Kanäle Informationen und Bilder rund um das Thema Wein auf den Konsumenten ein. Ich nenne es mal den ‚information overload‘, das Kapitulieren von der Informationsdichte.
Es hört sich eventuell etwas ketzerisch an, aber: zu Zeiten von Corona wäre es für uns einfacher gewesen. Wir waren einer der ersten Betriebe, die wieder in geschütztem Umfang Verkostungen und Seminare angeboten hatten. Allesamt ausgebucht, Thema egal. Hauptsache raus und etwas real erleben. Ich bin mir sicher: da wäre auch Franken komplett ausgebucht gewesen, die Gesichter genauso staunend überrascht wie es mir beim ersten Kontakt ergangen ist.
So heisst es nun: dicke Bretter bohren. Aufbauarbeit leisten. Kommunizieren. Es ist ja nicht so, als hätten meine KollegInnen im Umkreis, bis hin nach Köln und Bonn massig Frankenweine im Sortiment. Hier mal was vom Juliusspital, dort mal was von Wirsching. Auf der soeben beendeten Kölner Weinwoche (10 Tage auf dem Heumarkt) war unter 26 deutschen Betrieben genau ein Betrieb aus Franken. Das muss nichts heißen, bedeutet aber eventuell auch, dass Anbieter und Nachfrage hier im Rheinland noch aneinander vorbei gehen.

So geht’s weiter

‚Rom wurde nicht an einem Tage erbaut‘ – Franken wird für mich weiterhin ein Thema sein, steht weiterhin fest auf der to do Liste. Irgendwann in den nächsten Wochen geht’s an den Main (und an die Saale) um noch mehr Eindrücke, Geschichten und Bilder zu sammeln. Daraus werden Ideen für Präsentation, Vermarktung und PR erwachsen. Ziel wird es sein, dass irgendwann in ein paar Jahren auch das Rheinland wie selbstverständlich zum Wein aus Franken greift.

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