Elsass – eine Region zwischen Vergangenheit und Zukunft?

Im unteren Rheintal befinden sich zwei renommierte europäische Weinbaugebiete sozusagen vis-à-vis: im Osten das deutsche Anbaugebiet Baden mit dem ‚Kaiserstuhl‘, im Westen auf der anderen Rheinseite das französische Elsass. So wie wir viel Verbindendes finden, so finden wir auch viel Trennendes. Vor 150 Millionen Jahren war das Gebiet, welches wir heute als ‚Oberrheinische Tiefebene‘ bezeichnen, von einem Urmeer bedeckt. Vor 50 Millionen Jahren begann dann der Einbruch des Gesteinmassiv und sorgte für geologische Verwerfungen. Über den langen Zeitraum hatten sich zuvor auf dem Grundmassiv aus Granit alle möglichen Sedimente und Ablagerungen gebildet, die nun durch die Einbrüche / Verwerfungen relativ ‚wild‘ verstreut wurden. Sowohl am Kaiserstuhl, wie auch im Elsass, so dass die geologischen Gegebenheiten in beiden Anbaugebieten nahezu ähnlich sind. Es wäre jedoch falsch von DER Bodenstruktur oder DEM Terroir sprechen, sind doch die örtlichen Gegebenheiten aus Böden & Klima eher heterogen und kleinteilig. Klimatisch sind beide Anbauregionen ‚von der Sonne verwöhnt‘, um an dieser Stelle den Leitspruch der badischen Weinwerbung zu zitieren. Colmar hat bspw. die gleiche Niederschlagsmenge wie das südfranzösische Perpignan am Mittelmeer. Baden und das Elsass gehören beide zur klimatischen Weinbauzone B, während die Pfalz, die Ahr etc. in die kühlere Klasse A eingruppiert sind. Was vielleicht bis zur Jahrtausendwende ein entscheidender Standortvorteil im Weinbau war, kann perspektivisch im Rahmen der Klimaerwärmung zum Nachteil werden? Schon seit Jahren kämpfen beide Gebiete bspw. mit der Gefahr zu hoher Alkoholgehalte.

Rund um den Kaiserstuhl habe ich knapp 30 Grosse und Erste Lagen entdeckt (hier geht’s zur Online-Karte des VDP-Baden). Im Elsass hingegen sind es stolze  51 Grand Crù-Lagen mit ca. 25 unterschiedlichen Bodenstrukturen. Zugelassen sind hier ausschließlich die vier weissen Rebsorten Riesling, Gewurztraminer, Pinot Gris und Muscatel. Keine Regel ohne Ausnahme: im Grand Crù Zotzenberg ist auch der Sylvaner erlaubt, in zwei weiteren Crù Lagen sogar Cuvée. Grand Crù für Spätburgunder? Aktuell nicht vorgesehen!

Betrachtet man nur rein mathematisch, welche der zugelassenen Rebsorten auf welchem Terroir (Boden & Klima) welche Resultate liefern könnten, und zieht man zusätzlich noch in Betracht, welche Maßnahmen der Winzer im Weinberg/ Weinkeller individuell mit seiner Handschrift beisteuert, kommt man recht zügig, alleine aus der Multiplikation, in eine Phase der Resignation. Nein, DEN Elsässer-Wein an sich, wird man in unserer Probe mit 19 Weinen nicht entschlüsseln können. Resignation ist aber niemals ein gute Antriebsfeder im Leben, daher sollte man zumindest den Versuch einer ‚Annäherung‘ unternehmen. Daher möchte ich Sie kurz und knackig mit auf einen Rückblick zu unserem Elsass-Tasting nehmen. Natürlich mit der Warnung, dass unsere Eindrücke immer der Ausdruck subjektiver Wahrnehmung sind.

These: das Elsass ist total ‚retro‘!

Ist das nun ein Makel – oder ein Kompliment? Spannende Frage, die uns den kompletten Abend über begleitet hat. Das Elsass verfügt seit einer gefühlten Ewigkeit über lediglich 10 zugelassene Rebsorten. Und davon ist nur eine einzige Rebsorte rot: der Pinot Noir. Hier stellt sich natürlich unweigerlich die Frage, wie eine Region sich mit diesem Rebsortenspiegel den Herausforderungen der Klimaerwärmung stellen möchte. Während weiter nördlich in der Pfalz bereits mit Cabernet, Merlot, Syrah, Sauvignon Blanc etc. nicht nur ‚experimentiert‘ wird, sondern fast schon Standard im Rebsortenspektrum sind, hält das Elsass konsequent an Rebsorten wie Muscat und Gewurztraminer (wichtig: ohne ü, mit ‚u‘!) fest. Heldentum oder Naivität? Schwierig zu beantworten. Aber gerade wenn es in den ‚Grand-Crù‘ Bereich mit dem damit verbundenen niedrigen Ertrag (erlaubt sind 55 Hektoliter/ Hektar) geht, werden die Weine aromatisch ‚anstrengend‘. Sprich: das Gehirn kommt mit den ganzen sensorischen Signalen aus Nase & Mund gar nicht mehr hinterher. Das Genussempfinden bleibt hier häufig auf der Strecke. Geht man in der ‚Qualitätspyramide‘ jedoch weiter nach unten in die AOP ‚Alsace‘, finden die Weine häufig sogar mehr Harmonie.
Komplett ‚retro‘ ist das Elsass auch bei der Flasche: ausschliesslich die ‚Elsässer Schlegelflasche‘ (vergleichbar unserer Riesling-Schlegelflasche) ist zulässig. Als Verschluss ist der Kork nahezu immer noch gesetzt; in unserer Probe war von 19 Flaschen KEINE mit Schraubverschluss, nur 2 hatten einen synthetischen NomaCorc statt des Naturkork. Auch bei der Gestaltung der Etiketten hat man nicht den Eindruck, dass eine Heerschar junger GrafikerInnen von der Leine gelassen wurde. Ausnahme: der ‚Gentil‘ und der ‚S’gelt‘ wo man eine gewissen Jugendlichkeit oder Leichtigkeit vermitteln möchte. In der Tat muss sich auch das Elsass überlegen, wie man nachrückenden Käufer- und Konsumentenschichten zukünftig optisch anspricht.

Sylvaner rockt!

Da die Elsässer nun mal sehr ‚beständig‘ sind und nicht dem Verdacht unterliegen in Innovations-Hysterie zu verfallen, haben sie den Sylvaner unter ‚Artenschutz‘ gestellt. Anders als die KollegInnen in Pfalz und Rheinhessen hat man diese Rebsorte nicht ‚ausgerupft‘ und durch populärere Rebsorten ersetzt. Kompliment oder Fehler? Ich persönlich bin ganz klar auf der Seite ‚Kompliment‘. Natürlich ist ein Sylvaner keine cremige Fruchtbombe, natürlich ist der Sylvaner kein Terrassensäufer vor dem Herrn. Nein, die Aromatik ist eher verhalten, unaufdringlich, dafür im Mund von guten Bitterstoffen und feiner Säure. Gerne wird der Sylvaner als ‚unkompliziert‘, ‚Durstlöscher‘ oder ‚Spargelwein‘ angepriesen. Diese Fehler in der Vermarktung haben sicherlich in Deutschland zum Niedergang des Sylvaners geführt. Klar, wenn man die Rebsorte mit hohem Ertrag fährt, ihn als ‚Massenwein‘ betrachtet und behandelt, dann wir er auch ’simpel‘. DAS passiert aber mit jeder anderen Rebsorte auch. Somit möchte ich die Elsässer hier zu ihrem ‚Retro-Geist‘ beglückwünschen: mit sorg- und achtsam behandeltem Sylvaner kann sich diese Region fast schon ein Alleinstellungsmerkmal erobern. Wer weiss: vielleicht wird ja aus ‚Retro‘ auch wieder ganz schnell eine Modebewegung, sucht die Kundschaft doch vermehrt wieder das etwas Spezielle oder Aussergewöhnliche.
Mein absoluter Favorit: Klipfel Sylvaner ‚Côtes de Barr‘ AOP 2016 – ein ‚Ortswein‘, der am 2. und 3. Tag immer cremiger und würziger wurde. Kein Wein als ‚Solist‘, als Essensbegleiter jedoch von einer Würze und eleganten Wucht, dass es nur so eine Freude war. Wertung: alles andere als ein Durstlöscher! Und bitte nochmal auf das Jahr schauen: 2016. Ein 6 Jahre alter reifer Wein, der fast noch jung wirkt, mit Luft sogar noch besser wird. Ich lehne mich weit aus dem Fenster: der macht garantiert auch im Jahr 2026 (plus x) noch mächtig Freude!

Muscat und Gewurztraminer: mission impossibile?

Ich habe den Eindruck, die badischen Kollegen haben bereits vor Jahren davor kapituliert, einen wirklich guten TROCKENEN Gewürztraminer auf die Flasche zu bringen. Mit ein wenig Restsüße bringt man hier doch eher Nase, Mund und Gehirn in Einklang. Oder unser deutscher Geschmack ist hier so gedrillt, dass wir nach derart opulenten Frucht- und Blumenaromen in der Nase auch diese ’sensorische Verheissung‘ am Gaumen spüren möchten. Problem im Elsass: man möchte ‚trocken‘ unterwegs sein oder aber direkt in den edelsüßen Bereich (‚vendage tardives‘) gehen. Trocken: hier finden Nase & Mund für den deutschen Geschmack häufig schwer zueinander. Edelsüß: das ist natürlich das andere, massiv opulente Extrem. Eine Geschmacksrichtung ‚fruchtig‘ im Kabinettstil wäre für mich mal eine sehr interessante Option.
Beim Muscat haben wir das Problem, dass der elsässische Weinbau hierunter sowohl die Sorte Muscat ottonel wie auch die Variante ‚aux petits grains‘ zusammen fasst. Diese beiden Sorten sind für mich so identisch wie Grauer Burgunder und Weisser Burgunder es (nicht) sind. Also familiär verbandelt, aber komplett unterschiedlich… Generell sehe ich aber den Muscat gegenüber dem Gewurztraminer etwas im Vorteil: weniger expressiv, teilweise mit schöner Frische und sehr animierend!

Pinot Noir – sträflich vernachlässigt?

Ich musste mir selbst mehfach die Augen reiben: der Rotwein wird im Elsass (noch) sträflich vernachlässigt. Während in Deutschland bereits viele Sorten jenseits von Spätburgunder und Dornfelder angebaut werden, fixisert sich das Elsass ausschliesslich auf Pinot Noir als rote Rebsorte. Nur 10% (ca. 940 Hektar) der elsässischen Rebfläche sind mit Pinot Noir bestockt. Ein (großer) Teil hiervon wandert (sehr erfolgreich!) in den Crémant, der sich als Champus-Alternative zunehmender Beliebtheit erfreut. Somit bleibt für den klassischen Rotwein nicht mehr viel übrig. Ich gebe zu, dass ich bisher noch keine riesige Menge an Pinot Noir aus dem Elsass probiert habe (ich tippe auf 20-30), jedoch war darunter nicht ein Einziger, den ich zur Seite geschoben hätte. Allesamt blitzsauber, häufig auch nur im Edelstahltank ausgebaut und mit wunderbarer Pinot-Frucht. Erfreulich auch, dass hier nie auf Extrakt oder Farbe gesetzt wird, sondern ganz klar die Sortentypizität betont wird. Und ein 2017er Pinot Noir von Klipfel aus dem Barrique für unter € 15,00 die Flasche – wo bitte würde ich derartiges 200km weiter westlich im Burgund finden?!?

Klare Botschaft.

Es ist drin was drauf steht! Generell legt man im französischen Weinbau Wert auf Tradition. Wein ist Kulturgut, welches seit Jahrhundert in Frankreich gepflegt wird. Grossartige Veränderungen? Warum – nur weil der Markt gerade laut nach ‚Mode‘ schreit? Nicht mit den Franzosen! Das kann man ‚borniert‘ oder aber auch klug nennen. Nicht zuletzt haben französische Weine immer eine gewisse Wertstabilität im Verkauf bewiesen. Und so bleibt auch der Elsässer in der Markenbotschaft wert-konservativ: es ist drin was drauf steht. Soll heissen: wenn Sylvaner auf der Flasche steht, dann ist auch zu 100% Sylvaner drinne. Genauso beim Riesling, beim Pinot Gris etc. ‚Kleine Ausnahmen‘ gibt es natürlich schon. Wie bereits zuvor erwähnt, erlaubt der Elsässer unter ‚Muscat‘ zwei Spielarten und beim Pinot Blanc ist es ebenso: Weissburgunder und auch der Auxerrois zählen als ‚Pinot Blanc‘. Das ist für mich nicht komplett verständlich, ist doch der Auxerrois als ‚Gelber Burgunder‘ sensorisch auch wieder eine komplett unterschiedliche Liga als der eigentliche Pinot Blanc. Mehr noch: Auxerrois ist genauso selten wie gleichzeitig auch begehrt. Würde man den Auxerrois hier nicht als ‚Pinot Blanc‘ tarnen, würden sich m.E. ganz andere Käuferschichten erschließen.

Und das Fazit?

Generell spielt das Elsass in der deutsche Weinszene nicht mehr die Rolle, wie vielleicht noch bis weit in die 1990er Jahre. Deutsche Winzer haben qualitativ und marketingmäßig mächtig ins Horn geblasen und zweifellos das ein-oder-andere Stück vom Kuchen der Elsässer weg gefuttert. Nicht vergessen darf man hierbei auch, dass es gerade die Elsässer Winzer-Betriebe waren, wo sich viele deutsche Betriebe Anregungen geholt haben, sich weiter gebildet haben. Insbesondere im ‚Bio-Bereich‘ gilt das Elsass als Vorreiter. Mit der Klimaerwärmung wird das so eine Sache, da muss auch das Elsass höllisch aufpassen. Hier werden m.E. die Betriebe im Vorteil sein, die rechtzeitig auf Bio oder Biodynamisch (Weinbergsbegrünung etc.) umgestellt haben.
Die Stilistik der Elsässer Weine ist wie sie ist – und das ist für meinen Geschmack auch gut so. Trocken, würzig, niemals anbiedernd oder auf everybody’s darling getrimmt. Möglicherweise keine Liebe auf den ersten Blick, aber dann doch auf den 2. Schluck. Die Würze, die angenehme Strenge, die Lagerfähigkeit – das ist für mich schon ein Alleinstellungsmerkmal des Elsass. Auch die Tatsache jetzt mit Weißweinen auf den Markt zu kommen, die 2-3 Jahre (notwendige!) Reife haben, finde ich in unserer hektischen ‚immer den neuesten Jahrgang‘ Zeit fast schon wohltuend.
Wer einen ‚Party-Wein‘ für’s Sommerfest sucht, wird wahrscheinlich im Elsass weniger fündig – wobei ich persönlich bei einem 2016er Sylvaner ‚Cotes du Barr‘ blind jeder Einladung folgen würde ;-)
Ich bewundere die Elsässer, dass sie zugleich ‚retro‘ sind, aber auch die Modernisierung im Weinberg (Bio) nicht vernachlässigen. Es wirkt wie eine sorgsam, abgewägte, organische Entwicklung. Das könnte möglicherweise ein nachahmenswertes Modell der Zukunft sein. Und ja, mein ganz klares Plädoyer lautet: trinkt mehr Elsass, das ist in der Tat anders aber – auch definitiv gut!

Das Elsass in allen Facetten: Alsace AOP, Lieu-dits (=besondere Ortslagen) plus Grand Crù.
Die 'Basis'-Linie von Klipfel überzeugt durch Würze und Geradlinigkeit. Sehr präzise und sortentypisch!
André Lorentz hat in der Grand Crù Lage Kirchberg de Barr die Monopollage 'Clos Zisser'.
Ordentlich was auf dem Tisch: Klipfel, André Lorentz, Domaine de la Ville du Colmar und Hospices de Colmar.
Pinot Gris Spätlese - dank Botrytis Edelfäule ultra komplex und vielschichtig. Topp!
Pinot Noir - leider gibt es davon im Elsass (noch) zu wenig. Absolut sortentypisch!
Gute Adresse: das Stadtweingut von Colmar mit 8 Grand-Crù Lagen.
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