Im Herbst 2021 hatten wir das große Glück, den Barolo des Jahrgang 2016 als das zu identifizieren, was er ist: ein wirklich großer Jahrgang. 12 unterschiedliche Barolo stellten damals eindrucksvoll unter Beweis, dass es sich -durch die Bank!- auch mit 14,5% vol. Alkohol sehr elegant leben lässt. Gut, die Weine sind anders als die eher klassischeren Vertreter bis bspw. 2001 oder 2004. Aber das veränderte Klima gibt nun mal auch für das Piemont neue Spielregeln vor – und diese galt und gilt es zu meistern.
Nach dem fulminanten 2016er Jahrgang stand nun der 2017er zur Probe an. Vom Consorzio nicht ganz so spektakulär wie 2016 gelobt, aber de facto auch gerade für Nebbiolo mal wieder ein aussergewöhnlich guter Jahrgang. Wir erinnern uns: 2017 das Jahr der Spätfröste, welches in etlichen Regionen Europas bereits Ende April dafür sorgte den Jahrgang 2017 als ‚das wird nix‘ einzustufen. Anders im Piemont und insbesondere bei der spät austreibenden Nebbiolo-Rebe: hier waren die Sorgenfalten unbegründet.
Die geerntete Menge war quantitativ nicht ganz so hoch wie 2016, so dass man hier die gebremste Euphorie des Consorzio durchaus nach empfinden kann. Aber was sagt das Qualitätsbarometer?
Wie es sich für einen ordentlichen Winterwein gehört, hatten wir zu der Degu nochmal Schneefall und Temperaturen um die 0° Cel. bestellt. Im Rheinland, Anfang April. Verrückt! Wieder standen 12 unterschiedliche Barolo zur kritischen Verkostung an. Von Assemblagen bis hin zu den den Topp-Crù Lagen. Von Klassisch bis Modern, von ‚eher unbekannt‘ bis hin zu international weithin bekannten Namen.
Eigentlich fast immer mit am Start ist der Barolo der ‚Cantina del Nebbiolo‘. Eine grundsolide Genossenschaft, die fast immer die 2 Gläser im Gambero Rosso für ihren ‚Verschnitt‘ aus vielen einzelnen Parzellen bekommt. Grundehrlicher Wein, eventuell fehlt hier etwas der Spannungsbogen. Wobei es auch möglicherweise etwas unfair ist, betrachtet man diesen Wein als ‚Genossenschaftswein‘ und aufgrund seines geringen Endverbraucherpreises daher eher etwas unter Wert? De facto habe ich noch nie ältere Jahrgänge probiert, kann also gar nicht beurteilen, wie sich dieser Wein mit zunehmender Reife entwickelt. Ein six-pack ‚teure Einzellage‘ würde man sofort mit Respekt einlagern und über 5-15 Jahre sukzessive verkosten, aber einen Genossenschaftswein? Ich nehme mir vor, mal komplett mein inneres Karma diesbezüglich zu überdenken…
Immer wieder eine Freude sind die Weine von Burlotto und Sordo. Nicht nur in meinen Augen absolute Klassiker der Appellation. Immer grundehrlich, ich habe wirklich noch nie einen schlechten Wein dieser beiden Weingüter getrunken. Sind für mich so etwas wie das ‚Fort Knox‘ des Anbaugebietes. Auch diese Weine sind nicht auf Anhieb spektakulär, benötigen eher viel Luft und entwicken sich als wahre Langstreckenläufer. Von Burlotto hatten wir in diesem Jahrgang den einfachen Barolo, der aber nichts anderes ist, als ein Verschnitt aus den Topp-Lagen Breri, Neirane, Rocche Olmo und Boscatto. Das ist schon mal eine klare Ansage!
Giovanni Sordo war mit dem Crù ‚Parussi‘ aus der Gemeinde Verduno im Norden den Anbaugebietes vertreten. Für Weinliebhaber ist Sordo schon fast eine Provokation: Sordo verfügt m.W. über satte 9 (neun!) Grand Crù Lagen in der Appellation. So muss definitiv ein Platz im Weinparadies aussehen!
Das Weingut Brezza ist auch immer ein Muss in solch einer Verkostung, ist es doch einer der ganz wenigen Bio-Betriebe im Anbaugebiet. Die Weine sind definitiv ‚anders‘, wirken kurz nach dem Öffnen eher ‚mitelkräftig‘ und sind so zugänglich, dass man sie sofort trinken kann und de facto auch möchte. Großer Fehler: mit mehreren Stunden Luft kommt ordentlich Würze und Textur ins Spiel, der Wein wir zunehmend spektakulärer! In der Tat ist dies aber generell ein ‚Problem‘ der Barolo aus der jüngeren Zeitrechnung: trotz viel Tannin wirken sie erschreckend zugänglich. Der hohe Alkoholgehalt (fast immer 14,5%) und der damit einhergehende Gehalt an Glycerin verleihen eine weiche Textur. Vorbei die ‚brandige‘ Textur‘ aus den Anfängen der heissen Jahrgänge ab 2003. Zudem scheinen auch die Maischestandzeiten deutlich auf weichere Tannine gebürstet zu sein. Somit machen die Weine auch ‚jung‘ bereits mächtig Spass, möglicherweise gar zu viel Spass so dass man die ausreichende Belüftung oder Lagerung vernachlässigt? Dieses Phänomen ist aber nicht nur beim Barolo zu beobachten. Klassisches Beispiel: auch die großen Weine des Bordeaux haben sich in den letzten Jahren deutlich hin zu einer früheren Genussfähigket entwickelt. Ob dies letzlich zu Lasten der Lagefähigkeit geht? Geduld ist angesagt – in ca. 20 Jahren dürfen wir unser Urteil fällen ;-)
Apropos ‚frühe Trinkfähigkeit‘: Prunotto, einer der wirklich definitv und unbestreitbar ganz großen Namen aus Barolo und Barbaresco tanzt seit einigen Jahren komplett aus der Reihe. Die Weine sind so etwas von zärtlich und fruchtbetont, dass es fast schon irritierend ist. Mir kam spontan der Eindruck ‚der Merlot des Piemont‘. Das hatten wir schon beim 2016er (Basis-) Barolo, und aktuell bei der Einzellage ‚Bussia‘ aus 2017. Seit den 1990er Jahren gehört das historische Weingut (die Cantina Sociale di Barolo wurde zunächst von Alfredo Prunotto übernommen und dann vom legendären Beppe Colla weitergeführt) von Antinori übernommen. Schon möglich dass dieser toskanische Big-Player hier ganz neue Wege in der Weinbereitung geht. Wie gesagt: die Weine fallen in einer Barolo-/ Barbaresco komplett auf, ob dies schlecht oder gut ist, ist natürlich Geschmackssache. Die Eleganz ist definitiv out-standing!
Nicht nur Antinori hat in diesem renommierten und prestige-trächtigen Gebiet investiert. Die amerikanische Investoren-Familie Krause-Gentle hat vor einigen Jahren das Weingut Vietti gekauft. Und gleich noch Enrico Serafino obendrauf. Wer jetzt nun den Untergang des Abendlandes beschwört, ist komplett auf dem Holzweg. Serafino war für mich immer ein maximal mittelmäßiges Weingut mit Tendenz nach unten. Barbero war mal Eigentümer, dann Campari – irgendwie nicht Fisch, nicht Fleisch. Seit sich die amerikanischen Investoren wirklich persönlich um die Strategie des Weingutes kümmern, und die Idee des Barolo nicht nur verstanden haben sondern aktiv leben, gehört Serafino absolut zu den Aufsteigern. Kompliment, Dornröschen wurde wach geküsst!
Auch eine große Überraschung war für mich das Weingut ‚Pico Maccario‚. Sehr jung, sehr modern – ud augenscheinlich sehr erfolgreich: ca. 800.000 Flaschen Wein aus 100 Hektar Anbaufläche schafft es dieses 1997 gegründete Weingut erfolgreich im Markt zu platzieren! Hier hatte man auch den Eidruck, dass mehr mit dem 225l Barrique wie mit den grossen Eichenfässern wie bei den ‚klassischeren‘ Kollegen gearbeitet wird. Zudem ein Korken von DIAM aus Konglomerat-Kork. Frech, mutig – ein Betrieb, den ich definitiv af die ‚watchlist‘ setze!
In einer Barolo-Verkostung gehe ich immer klassich von ‚Nord nach Süd‘. Sprich: zuerst werden die Weine aus Verduno verkotstet, über La Morra, Barolo und Monforte geht es dann nach Serralunga. Dieser Anbauzone im Südosten mit ihren knapp 200 Hektar ist deutlich von Kalkmergel geprägt, die Böden sind basisch mit einem ph-Wert um die 8. Man verortet genau hier die Weine mit der größten Struktur, Ausdauer und Mineralität. Und de facto waren es dann auch die zwei finalen Weine von Angelo Negro und Palladino, die nochmals eindrucksvoll bewiesen, was ‚Nebbiolo so auf der Kette hat‘. Negro, eigentlich bekannt für seine famosen Weine aus dem Roero-Gebiet, macht seit einigen Jahren auch Barolo und Barbaresco. Und dass mit einem fetten Ausrufezeichen!
Komplett nicht auf dem Schirm hatte ich den Betrieb ‚Palladino‘. Mit dem ‚Ornato‘ hatten wir einen Muster-Barolo aus Würze, Kraft, Frucht, Säure, Dichte und Struktur. Ein Wein, der sprachlos machte, weil er definitiv über Minuten Signale an das Gehirn sendete. Toller Wein!
Eine große Verkostung war damit aber noch nicht komplett an ihrem Ende angelangt. Im Unterbewusstsein beschäftigte mich noch die frühe Trinkigkeit und de facto Zugänglichkeit der degustierten Weine. Da war bisher nichts von diesen Noten nach Teer, Gummi, Unterholz oder Trüffel, für das nicht nur ich diese großen Weine des Piemontes schätze. Somit musste ‚blind‘ noch ein 1996er Barbaresco ‚Sori du Burdin‘ von Fontanabianca aus Neive herhalten. Im Glas wurde der Wein aufgrund der stabilen Farbe und der lebendigen Säure im Mund auf ca. 10 Jahre geschätzt ;-)
Dass dieser Wein nun ins 26. Lebensjahr geht, konnte Niemand glauben. Ich schon, war doch 1996 genau wie auch 1999 ein ganz, ganz großes Jahr im Piemont. Weine von spektakulärer Langlebigkeit, von Eleganz und Frische.
Ob ich mich von den Restflaschen ‚Sori du Burdin‘ trennen würde? DAS ist wirklich eine Frage, die ich fast nicht beantworten kann…