96 Punkte für einen Gutswein?

Kann ein Weissburgunder ‚Gutswein‘ in einer Verkostung 96 von 100 möglichen Punkten erreichen? Oder ist das reines Marketing? Spannend – würde es sich um einen ‚renommierten‘ (whatever that means…) Wein in der Preisklasse über 20 Euro die Flasche handeln, würde diese Diskussion überhaupt nicht eröffnet. Mehr noch: bei 20 Euro und 96 Punkten würde sofort das Attribut ‚Schnäppchen‘ fallen, selbst dreistellige Preise würden bei dieser Punktekonstellation in der Weinszene akzeptiert. Nun handelt es sich aber bei diesem Wein um den ‚einfachen‘ Weissburgunder Nahe QbA 2022 des Bio-Weingutes Forster (ECOVIN) von der Nahe. Das ‚einfach‘ steht in Anführungszeichen, weil es bei Forster nur den einen Weissburgunder gibt. Es gibt keinen ‚Ortswein‘ oder ‚Lagenwein‘, wie es bspw. der Qualitätspyramide des VDP entsprechen würde. Steht nur ‚Weissburgunder Nahe QbA‘ auf dem Etikett, ohne Ortsangabe oder spezielle Lage, so ist per definitione zunächst davon aus zu gehen, dass es sich um einen ‚Gutswein‘ handelt.

Bereits auf der Prowein im März durfte ich diesen Wein probieren und fand ihn -obwohl erst gerade gefüllt- schon verdammt lecker. Sortentypische Aromen, feine Frucht, gute Säure, angenehme Bitterstoffe, schöne Cremigkeit durch die Feinhefe. Von der Nase über den Zungenkontakt bis zum Nachgeschmack rundum lecker oder harmonisch.
Anfang Mai wurde dann dieser Wein im Rahmen des Organic Wine Award von einer Verkostungsgruppe rund um Martin Darting verkostet. Martin Darting hat das PAR-System entwickelt, welches zunächst etwas ‚technisch‘ wirkt und mit seinen Diagrammen eher nach Statistik oder Mathematik ausschaut. Doch ich persönlich schätze das System schon seit Jahren, weil es sehr differenziert und strukturiert die einzelnen Komponenten in der Weinsensorik abfragt. Man könnte auch sagen, dass System versucht größtmögliche Objektivität in ein subjektives Thema – die sensorische Wahrnehmung- zu bringen.


Zur Recht oder zu unrecht?

Nun gebe ich zu: auch mich hat das Ergebnis ’96 Punkte‘ zunächst schockiert. So 90 oder 92 Punkte, dass hätte man aus Gewohnheit stillschweigend und ohne jegliches Hinterfragen akzeptiert. Aber 96 Punkte – nur 4 Punkte hinter der Maximalpunktzahl 100? Ist das nicht ausschliesslich den gigantischen Namen der Weinwelt wie Petrus, Cheval Blanc, Lafite Rothschild, Sassicaia oder Trockenbeerenauslesen von der Mosel vorbehalten?
Schaut man sich jedoch dass Ranking an, stellt man schnell fest, dass es bei PAR zuvorderst um Harmonie geht. Und wenn nun mal beim Weissburgunder Nahe QbA der Familie vieles richtig gemacht wurde, der Wein wie aus einem Guss schmeckt, ja was bleibt dann anderes übrig? Soll man ihm dann nur 85-88 Punkte geben, weil der Wein nur +/- € 8,00 die Flasche kostet? Natürlich gibt es größere Weine auf diesem Planeten, die Einen so beschäftigen, dass man sprachlos ist.
Anmerkung: häufig sucht man aber gerade bei diesen Weinen nach Argumenten um den bezahlten Preis zu rechtfertigen… ‚Das Tannin ist zu jung, der braucht noch 5 Jahre‘- ‚Hierzu braucht’s dunkles Fleisch, am besten dry aged‘ – ‚den zu einer ordentlichen Zigarre/ Schokolade/ Trüffel/ Hummer …‘ Oder anders: hier wird häufig eine Prophezeiung ausgesprochen, dass der Wein Y am Tage X eine perfekte Harmonie oder Balance liefert. Wann das ist? Fragt den Propheten!

96 Punkte – für eine perfekte Harmonie im hier-und-jetzt

Das ist doch mal ein Wort: der Wein zaubert jetzt hier und heute ein Lächeln ins Gesicht. Er wird überdies einer großen Anzahl von Trinkenden schmecken. Er ist absolut sortentypisch für einen Weissen Burgunder. Nicht wässrig, aber auch keine Granate, die Einen zu Boden ringt. Er schmeckt, auch noch nach dem 2. oder 3. Schluck, biedert sich aber mitnichten durch ein süchtig machendes Zuckerschwänzchen an, so dass man alleine eine komplette Flasche trinkt. Eine feine Säure gibt Länge, stört aber niemals. Ich bin ehrlich: ich glaube zudem, dass der Wein locker 2-3 Jahre auf dem Niveau bleibt, möglicherweise sogar noch besser wird.

Zu kaufen?

Ja, aber bei uns nicht online. Es handelt sich um einen Wein aus ökologischer Landwirtschaft. Um diesen online verkaufen zu dürfen, müssten wir uns bio-zertifizieren lassen. Sie lesen richtig: um ein bereits verpacktes Bio-Produkt, welches nicht mehr verändert wird, online verkaufen zu können, müsste ich mich zertifizieren lassen. Stationär im Einzelhandel ist das nicht nötig. Online schon, ich könnte Sie ja über eine Produktbeschaffenheit täuschen. Das irritiert Sie? Mich auch. Mehr noch irritiert mich, dass ich wahrscheinlich diesen Wein in den Shop nehmen könnte, alle Wörte mit ‚Bio‘ unkenntlich mache und so tue, als wenn das Produkt ’nicht-bio‘ oder konventionell wäre. Genau DAS wäre für mich Verbrauchertäuschung.
Also: stationär im Einzelhandel verkaufe ich Ihnen herzlich gerne diesen Wein zu € 8,00 die Flasche. Auf Wunsch versende oder liefere ich Ihnen auch diesen Wein. Alles Andere gerne per mail oder telefonisch.

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