5 Monate später … Ausguss oder Genuss?

Was passiert, wenn man geöffnete Weine 5 Monate kühl und lichtgeschützt weg stellt? Genuss? Ausguss? Irgendetwas dazwischen?
Exakt am 1. Juni 2021 fand eine Online-Verkostung mit den ‚Lagenweinen‘ des ECOVIN-Weingutes Forster/ Nahe statt. Georg und Johannes Forster haben uns HändlerInnen die einzelnen Parzellen, die geologischen Besonderheiten und die Klimaverhältnisse erklärt. Denn Eines ist klar: die Nahe als Anbaugebiet ist eine einzige Überraschungstüte. Hier findet man nahezu den kompletten Querschnitt deutscher Bodenstrukturen auf kleinstem Fleck. Von Muschelkalk über sandig, vulkanische Strukturen, ‚rote‘ Böden bis hin zum rheinischen Schiefergebirge ist nahezu jede geologische Struktur vorhanden. Somit ist klar ‚DEN‘ typischen Nahewein gibt es nicht. Da ist manchmal Rheingau oder Mosel-Style unterwegs, dann wieder fruchtig wie in Rheinhessen oder der Südpfalz. Also wer gerne ‚Blindproben‘ durchführt und seine Freude oder Kollegen auf’s Glatteis führen möchte: nehmt Weine von der Nahe, da ist die Fehlerquote im Raten groß und der Überraschungseffekt garantiert!
Wie eingangs erwähnt, wurden die ‚Lagenweine‘ gemeinsam digital, aber individuell einsam verkostet. So ist oder war das halt in Corona, davon blieb auch die Weinbranche nicht verschont.
‚Lagenwein‘ ist insofern nicht komplett korrekt, da die Familie Forster die Topp-Liga (! wichtig !: benutze niemals den Begriff, der mit ‚Ch‘ beginnt und ‚League‘ endet, denn dieser mittlerweile ‚umgangssprachliche Begriff‘ ist eine Marke der Uefa und die sind da sehr empfindsam…) ihres Sortimentes ‚Abenteurerweine‘ nennt. Hört sich zunächst eventuell etwas ’schräg‘ an, prägt sich aber mit der Zeit prima ein.

Riesling ‚Bergsteiger‘: stammt aus der Lage ‚Laubenheimer Vogelsang‘. Eine Lage, die wahrscheinlich nur den Einheimischen oder absoluten Freaks bekannt ist – und somit schnell aus der Erinnerung entweicht. So muss auch ich jedesmal wieder nachschauen… Allerdings, was bei mir fest in der Erinnerung geblieben ist: Bergsteiger = extrem steinige, felsige Lage. Da hat der der Gletscher vor Urzeiten kräftig geschoben und einen steil ansteigenden Berg formiert und ordentlich Geröll und Stein gehoben. Eher mineralisch geprägt, da müssen die Wurzel schont kräftig wuchten, um in den Fels zu dringen. Ihr seht: die sprachlichen ‚Eselsbrücken‘ der Familie Forster machen Sinn!

Riesling “Wüstenwanderer‘: ihr ahnt es – auch diese Lage muss ich gleich recherchieren. Ich tippe aber aufgrund ‚Wüste‘ auf eher sandige Böden, mit guter Sonnenexposition. Wahrscheinlich ein Riesling, der nicht ganz so mineralisch ausgeprägt ist und eher zärtlich, mit leichten Blüten und Fruchtaromen? Et voilà – es ist der ‚Dorsheimer Trollberg‘, westlich der A61 gelegen und brutal volle Kanne nach Süden ausgerichtet. Trocken. Sandig. Kräfte schonen. Hier überlebt, wer leicht und filigran unterwegs ist.

Spätburgunder Rosé ‚Himmelsstürmer‘: meine Eselsbrücke: wer in den Himmel will, muss erst durch die Hölle gehen. Und die Lage ‚Hölle‘ liegt an der Burg Layen. geht direkt vom ‚Schlossberg‘ über. Der Name ‚Hölle‘ lässt schon erahnen. Warmer, sonniger, trockner Standort. Je nach Sünde auch richtig heiss ;-)

Die drei vorgenannten Weine habe ich am 1. Juni verkostet. Und am 4. November. Also nicht 2 Flaschen, sondern ein-und-dieselbe Flasche. Geöffnet. 5 Monate. Ohne wenn und aber. Aber im Kühlschrank, licht- und luftgeschützt bei ca. 5°.

Wie kommt man auf so eine wahnwitzige Idee?
Berufserfahrung und Zufall. Oder besser: Berufserfahrung durch Zufall. Vor einigen Jahren entdeckte ich einen Riesling aus dem ‚Ürziger Würzgarten‘ von Markus Berres. Flasche war aus einer Probe geöffnet und dann irrtümlich wieder im Karton gelandet. Dort hatte sie 10 Monate verbracht. Natürlich hätte man diese Flasche auch sofort in den Ausguss geben können, oder aber die Neugier gewinnt Oberhand und man fragt sich ‚was passiert eigentlich mit einem mineralischen Riesling, wenn er 10 Monate offen ist?‘ Um es kurz zu machen: Aha-Erlebnis!
Aus dieser Erfahrung habe ich dann die Forster-Weine ebenfalls auf dem Abstellgleis geparkt. Weil ich am 1. Juni gemerkt habe: die sind noch (zu) jung, da ist noch mächtig Testosteron in der Flasche, welches in zivile Bahnen gelenkt werden muss. Vorsichtige Nachprobe am 2. Juni und eine Woche später. Leichtes Grinsen und die Gewissheit, diese Weine jetzt ‚leiden‘ zu lassen. Für 5 Monate!

Verkostungsnotiz vom 4. November 2021:

Rosé ‚Himmelsstürmer‘ Nahe QbA 2019: Noten von Himbeermarmelade, aber keine gekochte Konfitüre; leichter Gummi, Rosenblätter, leichter Tymian. Im Mund Gummiton, mineralisch, gute Säure. Leichter Reifeton im Abagang. Viel gutes Tannin. Hat etwas Fruchtfrische verloren, stoffig, im Nachgeschmack immer wieder Rosenblätter die an Gewürztraminer erinnern. Mit Luft und Erwärmung entwickelt sich der Gummiton zu einer rauchigen Pinot-Frucht. Ist das noch Rosé oder schon Burgunder oder einfach nur Chapeau! ?

Riesling ‚Wüstenwanderer Nahe QbA 2019: leichter Riesling-Firn; etwas Gips und Kalk, kommt Ananas, Reifeton verschwindet. Im Mund präzise Struktur, nicht opulent, kleines ‚Loch‘ in der Mitte, da fehlt etwas Druck am Gaumen. Gute Säure, eher schlank und sehr präzise, elegant, eher zärtlicher Typus. Frucht fast verschwunden, kein ‚Bääm, voll auf die Fresse‘-Riesling. Eher sehr feine, zärtliche Textur. Italiener, Spanier und Franzosen würden diesen Wein als Essensbegleiter feiern!

Riesling ‚Bergsteiger‘ Nahe QbA 2019: Oregano, Aprikose, leichter Honig. Viel Bumms, toller Zug am Gaumen. Kommt frische Pampelmuse, salzig, tolle Würze, sehr elegant. Wunderschöne Nase, wo sich Reifetöne, mediterrane Kräuter gelbe Früchte und Zitrusfrüchte abwechseln. Salzig, frisch, packt zu und lässt den Speichel fließen. Typus ‚Riesling Auslese trocken‘. Groß!

Fazit: die Weine des Bio-Weingutes der Familie Forster sind grandiose Langstreckenläufer. Selbst bei den Gutsweinen (Weisser Burgunder, Rivaner, Riesling) denke ich mir häufig: wären wir doch im Elsass, da lässt man Weissweine auch einfach mal 2-3 Jahre zur Ruhe kommen. Vielleicht müssen wir erst wieder lernen zu entschleunigen, Zeit, Muße und Geduld zu entwickeln. Belohnt wird man mit so überraschend schönen Weinen, wie sie die Familie Forster vinifiziert. Die ‚Abenteurer‘-Weine können m.E. locker mit Großen Gewächsen mithalten, kosten aber gerade mal die Hälfte. Ein Six-Pack kostet keine 90 Euro – und dann diese Weine einfach mal über 6 Jahre verteilt trinken? Klingt verlockend. Macht Sinn. Und das Thema ‚Ausguss‘ könnt ihr komplett streichen. Hier ist Genuss Trumpf!

 

 

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