‚Wie edel ist Wein wirklich‘ – eine verpasste Chance vom ZDF ‚Magazin Royale‘
Das ‚Magazin Royale‘ von Jan Böhmermann gehört für mich persönlich zu einem der wichtigsten journalistischen Formate. Die Ibiza-Affäre, das Influencer-Fiasko von Fynn Kliemann oder aber auch die problematische Konstellation des (ehemaligen?) BSI-Chefs Arne Schönbohm – ohne das ‚Magazin Royale‘ wäre hier wohl deutlich weniger Druck im Kessel gewesen.
In der Sendung vom 14. Oktober 2022 ging es nicht um eine erneute ‚undercover‘-Story, vielmehr wurde unter der Überschrift ‚Wie edel ist Wein wirklich‘ ein veritables Fass zum Thema ‚Wein‘ aufgemacht.
Gute Idee – aber journalistisch wirklich ‚edel‘?
Leider hat Böhmermann m.E. einen echten journalistischen Korkschmecker produziert. Seine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Wein wirkte wie ein Tetra-Pak Glühwein für 1,99. Wild zusammen gewürfelt, keine Liebe zur Detail-Recherche, Hauptsache irgendein zufällig vorbei schleichendes Gewürz mit rein gehämmert. Es wimmelte so vor Platituden und Verdächtigungen, die m.E. darin gipfelten den Weinbergen an der Ahr eine Mitschuld an der Flut-Katastrophe 2021 zu geben. Wer jetzt glaubt, Böhmi wäre hier tiefer in ein evt. relevantes Thema eingestiegen, der wurde enttäuscht. Eine 10 Sekunden Erwähnung muss reichen, und zack! den nächsten Korken gezogen. Es wurden derart viele Klischees geöffnet – und nicht mit der gebotenen Tiefe analysiert, dass ich immer noch einen Kater habe…
Auf die üblichen Verdächtigen hauen.
Auf mich wirkte es wie das billige Erhaschen von Effekten: die ‚Promis‘ in der Branche mussten herhalten. Günther Jauch wurde kurz durchs telegene Dorf getrieben, unter dem Kontext ‚der Jauch scheffelt ja eh nur Kohle‘. Losgelöst von der Tatsache, ob Jauch sich mit seiner Zweit-Linie im Discounter (Weine waren Zukauf und nicht aus dem eigenen Weingut ‚von Othegraven‘) einen Gefallen getan hat, sollte nicht vergessen werden dass Jauch und Ehefrau massiv in das von Othegraven Weingut investiert haben, um es zu retten. Und wer glaubt, dass ein ‚Promi-Bonus‘ automatisch reiche, um in die Regale der Weinhandlungen zu kommen, verkennt die harte Realität im Weinbusiness.
Ein Seitenhieb auf Promis in der Branche kommt selten alleine: Joko Winterscheidt und Mathias Schweighöfer als wichtige Protagonisten des Projektes ‚3 Freunde Wein‘ bekamen auch eine kleine Watschen, ohne tiefer ins Detail zu gehen. Ist das Projekt seriös? Eine reine Marketing-Maschine? Ist das die neue Realität des Verkaufens? (Stichwort: Promis als Litfasssäule bzw. heute digitale Litfasssäule). Dingens und Dingens (Gottschalk, Till Schweiger und Christoph Maria Herbst) wurden natürlich auch noch kurz erwähnt oder wie es neudeutsch heisst: gedissed…
Meine Vermutung: reine Effekthascherei, ‚bashing‘ scheint der neue Premier Grand-Crù unter der Kommunikation zu sein.
Ekel und Ökologie
Die Promis wurden fortan zur Seite geschoben. Angst und Ekel taugen immer als herrliche Trigger in der Kommunikation. Also musste ‚Fleisch ans Skelett‘. Böhmermann verbiss sich in der Phrase, dass der Wein ja gar nicht so natürlich sei, würden doch häufig bewusst tierische Produkte in der Produktion zur Klärung und Schönung verwendet. Das ist oder war richtig: ich persönlich kenne nahezu keinen Winzer, der heute noch Extrakte aus Fischblase, Schwein (Gelatine) oder aufgeschlagenes Eiweiss zum Klären und Schönen verwendet. Dafür gibt’s inzwischen grandiose mechanische Filter, Erbsenprotein oder mineralische Stoffe wie Betonit (was natürlich bei manch Einem/Einer auch für den mangelnden Bezug zum Thema ’natürlich‘) hervorruft. Dann ging’s um den Frosch. Überspitzt gesagt (so kam es jedenfalls rüber…): die omnipräsente Chemie im Weinberg killt jegliche Froschpopulation. Natürlich gab es auch hier keine Daten & Statistiken. Und erst recht keine Daten und Statistiken über ökologischen Landbau. Dieser wächst seit Jahren kontinuierlich, ist aber m.E. weiter ausbaufähig. Und um diesen Ausbau zu fördern oder zu beschleunigen wäre einige ‚Mutmacher‘ in der Kommunikation nicht schlecht gewesen. Ist meine Meinung. Da das ‚Magazin Royale‘ die Zahlen nicht liefern konnte oder wollte, hier wenigstens ein paar kleine Zahlen zur Einordnung: Italien hat als ‚Öko-Spitzenreiter‘ mit 109.000 ha Rebfläche ca. 15% der Anbaufläche in der zertifiziert ökologischen Bewirtschaftung. Deutschland mit ’nur‘ 9000 Hektar knapp unter 10%. Tendenz: überall steigend. Und gerade hier hätte für mich der Hebel ansetzen können: traut euch, es funktioniert! (Hinweis: die de facto Anbaufläche nach ökologischen/ naturnahen Kriterien wird um Einiges höher liegen, lassen sich doch viele kleine Betriebe nicht zertifizieren).
Gerade der ökologische Aspekt hätte mächtig Zunder und Gesprächsstoff liefern können: so ‚wünscht‘ sich das Bundesumweltministerium ein Ziel von 30% ökologisch bewirtschafteter Landwirtschaftsfläche bis zum Jahr 2030 (Anmerkung: Weinbau ist auch Landwirtschaft). Realistisch? Wie zu erreichen? (Hinweis: mit bekannten Suchmaschinen liefert das web eine schiere Informationsflut zu Pestiziden, ökologischem Anbau, Artenvielfalt usw. usw.). Und ja, man hätte Zahlen präsentieren dürfen oder müssen, ob Herbizide und Pestizide zunehmen oder abnehmen. Mit welchen Konsequenzen für Flora und Fauna? Für den Menschen? Brauchen wir dies für eine Ernährungssicherheit (beim Wein wohl weniger ein Thema; wein sollte kein Grundnahrungsmittel sein)?
Und nein, ein Bio-Wein aus dem spanischen La Mancha für € 2,99 die Flasche muss nicht automatisch gemogelt sein: riesige Anbauflächen, extreme Trockenheit gleich null Pilzdruck. Das kann schon zu Kampf- oder Lockvogelpreisen möglich, oder aber vom Handel so gewollt und subventioniert sein. Und ob dann ein Steillagen-Riesling mit Handlese an der Mosel für €10,00/ Flasche automatisch den besseren Fingerabdruck hat? Der Preis allein taugt als nicht wirklich als veritabler Indikator, so meine persönliche Erfahrung.
Hauptsache die Flasche ist leer!
Ob Jan Böhmermann während der Sendung wirklich die Flasche Rotwein getrunken hat (oder ob’s Traubensaft bzw. entalkoholsierter Wein war), ist mir nicht bekannt. Die Flasche war auf jeden Fall leer. Und möglicherweise Böhmermann voll (dafür spricht die eskalierende Vulgärsprache…). War es möglicherweise perfide Satire, dass sich Böhmi in ‚Rage‘ gesofffen hat? Wollte er uns damit den Spiegel vorhalten, dass Saufen salonfähig und ‚edel‘ ist? Man dies sogar komplett ungeniert im Öffentlich Rechtlichen machen kann? Wenn ja, dann habe ich es leider nicht bewusst verstanden, auch Leute, mit denen ich über die Sendung diskutiert habe, nicht. DAS wäre m.E. aber ein wichtiger Ansatz gewesen. Ist Alkohol wirklich ein ‚Genussmittel‘, der ‚Spassmacher‘ oder eventuell doch nicht so gut für die Gesundheit und für’s allgemeine Portemonnaie? Ca. 70.000 Tote p.a. im Jahr in Deutschland aufgrund übermässigem Gebrauch (= Missbrauch) von Alkohol. Ein Drittel aller Gewalttaten unter dem Einfluss von Alkohol. Ca. 40 Mrd. (Milliarden!) Euro Kosten bei den Krankenkassen. Dies auch alles via Suchmaschinen bequem zu recherchieren.
Aber hörma‘ Wirtz, du verdienst doch daran?! Natürlich tue ich das, jedoch versuche auch ich einen ethischen Anspruch zu erfüllen. Nein, ich möchte nicht, das meine KundInnen das Doppelte in sich reinschütten, nur damit ich das Doppelte auf dem Konto habe. Bewusster Genuss gerne, Verharmlosung bitte nicht. Aber das Thema kennen wir ja bereits von der schleichenden Verzuckerung in Lebensmitteln: ich als Händler habe die Marktmacht bestimmte Produkte zu listen oder eben nicht zu listen. Tuen Discounter und LEH doch sicher auch oder? Zwinker-Smiley.
Die vertane Chance – oder ein generelles Problem des Magazin Royale?
Möglicherweise war das Thema ‚Wein‘ bei Böhmermann ganz tiefe Satire – und ich habe es nicht verstanden. Da viele meiner Gesprächspartner es aber ebenso nicht verstanden habe, glaube ich eher an eine verpasste Chance. Das ‚Magazin Royale‘ erhebt einen Anspruch in der Medienlandschaft besonders zu sein. Kompetent. Ungebunden. Hart. Gut recherchiert. Polarisierend. Ich bin ehrlich: dieses Bild bekommt in meiner persönlichen Wahrnehmung gerade Risse. Was aber noch viel schwerer wirkt, ist ein Verlust in die Seriosität und Glauben an die Qualität der Sendung. Was, wenn andere Themen des ‚Magazin Royale‘ ähnlich oberflächlich recherchiert und publiziert wurden? Eine Woche zuvor habe ich die Sendung noch aufgrund des Thema ‚Cybersicherheit‘ gefeiert – und nun so journalistischer Faux-Pas? Oder war das mit der ‚Cybersicherheit‘ vielleicht auch nur halbgar? Ich bin verunsichert…
Sicherlich ist Böhmermann inzwischen ein Getriebener: jede Woche einen 1000%-er rauszuhauen, halte ich für ambitioniert. Dann doch lieber nur alle 14 Tage oder 4 Wochen senden, aber bitte nicht ins Triviale und Unglaubwürdige abdriften.
Der von mir aufgrund seiner fundierten und sprachlich sehr exakten Analysen sehr geschätzte Autor und Strategieberater Sascha Lobo sieht in seinem ‚SPIEGEL‘-Kommentar ‚Der herbeigeböhmerte Skandal‘ möglicherweise eine generelles Problem des Sendungformates:
„…Das Problem beginnt dort, wo eine wöchentliche Sendung zwar nicht jede Woche spektakuläre Enthüllungen bringen kann – aber das erkennbar gern möchte. Im Fall Böhmermann hat das dazu geführt, dass manche Enthüllungen mit, sagen wir, mittelgroßer Brisanz, recht sanfter Fallhöhe oder nicht übermäßiger Überraschungsintensität daherkommen.“
„…Die mittelgroße Brisanz mancher Böhmermann-Enthüllungen macht er in seiner Show aber wieder mehr als wett, und zwar mit einer einzigartigen Inszenierungsfähigkeit. Böhmermann und sein Team sind ohne Zweifel die Journalist*innen, die enthüllte Verfehlungen aller Art im deutschsprachigen Raum mit Abstand am unterhaltsamsten inszenieren können. Der Writers Room des ZDF Magazin Royale könnte aus zu spät zurückgegebenen Pfandmarken der Bundestagskantine einen parlamentarischen Jahrhundertskandal drechseln, daraus einen fantastischen Text zaubern, den Jan Böhmermann wiederum mit unvergleichlicher Brillanz vom Teleprompter ablesen würde. Boooom!“
„…Insinuieren* ist hier ein wichtiges Wort. Die Andeutung, damit sich das Publikum seinen Teil denken soll, ist ein wiederkehrendes Instrument von Böhmermanns Enthüllungen, mit dem man nicht ganz ausrecherchierte Geschichten so fabelhaft inszenieren wie rechtssicher anreichern kann.“
(* Insinuieren: als Unterstellung, Verdächtigung äußern; unterstellen, durchblicken lassen. s. Eindruck im DUDEN)
Die komplette Kolumne findet sich unter: SPIEGEL-Kolumne von Sascha Lobo vom 12. Oktober 2022
‚Wein ist ein Problem!‘
Wein kann toll sein. Landschaftspflege, Kulturgut, sensorische Erfüllung. Wein kann aber auch falsch sein: ökologisch zweifelhaft, möglicherweise Ausnutzung von Arbeitskräften. Gesundheitsschädigend und süchtig machend. Das pralle konträrer Leben angefüllt in 750ml.
Insbesondere die in den letzten Jahren in den socials geradezu inflationär gestiegene ‚Verharmlosung‘ von Alkohol ist hier ein Thema, was man dringend diskutieren muss. Die omnipräsente Botschaft ‚Saufen ist schick, macht schön, reich und sexy‘ wäre etwas gewesen, was Böhmermann gerne hätte mit Biss und Schärfe angehen können.
Wir Branchen-Insider sollten unser Produkt genauso mit Wohlwollen wie Argwohn betrachten. Nicht alles ist gut. Wein ist dann ein Problem, wenn wir die negativen Aspekte NICHT ausklammern. Wir müssen kritisch sein. Hinterfragen. Im Hinterfragen sollten wir jedoch fundiert und präzise vorgehen. Sonst wird es trivial, angreifbar, die Chance wird vertan – und das Produkt zum beliebigen Klassen-Clown.
Wer die Sendung noch nicht gesehen hat, hier der Link in die ZDF-Mediathek: