Rheingau. Riesling. Trinks? Trinks!

Es gibt sie, die weissen Flecken auf der Landkarte. Auch beim Weinhändler. Der ist letztlich auch nur ein Mensch mit begrenztem Horizont. Das kann und muss man akzeptieren. Und es vielleicht sogar positiv sehen: weisse Flecken bedeuten nichts anderes, als ‚es gibt noch was zu entdecken‘. Möglicherweise sogar direkt vor der Haustüre?

Der Rheingau: DIE Riesling Metropol-Region Deutschlands?
Bei Bingen, am südlichen Ende des engen Mittelrheintals öffnet sich die Landschaft. Im Westen noch ein paar vereinzelte Weinberge der Region Nahe, daran anschliessend das Weinbaugebiet Rheinhessen. An seinem Ostufer hingegen begleitet der Rhein über knapp 40 Kilometer eine Kulturlandschaft, die bereits seit dem 8. Jahrhundert durch den Weinbau geprägt ist. Der Legende nach beobachtete Karl der Große von der anderen Rheinseite aus, dass die Schneeschmelze auf dem Johannisberg deutlich früher startete als anderswo. Und als Kaiser kann man dann schon mal auf dem kurzen Dienstwege das Pflanzen von Weinbergen anordnen…
(Hinweis: möglicherweise waren historisch betrachtet bereits die Römer einige Jahrhunderte zuvor im Rheingau aktiv, jedoch konzentrierten sich ihre Weinbau-Aktivitäten mehr auf die Mosel und die Pfalz.)
Die Klöster Johannisberg und nicht zuletzt Eberbach sorgten im 12. Jahrhundert für einen mächtigen Aufschwung des Weinbaus, welcher nicht zuletzt dem Bischof von Mainz recht gut gefiel. Im 18. Jahrhundert wurde dann die ‚Edelfäule‘ im Rheingau per Zufall ‚erfunden‘. Oder anders: ein berittener Bote musste beim Bischof von Fulda den Lese-Termin einholen. Das dauerte – und zwar über 14 Tage. In dieser Zeit hatte sich bereits die Edelfäule ‚Botrytis‘ an den Beeren schadlos gehalten und somit war die Stilistik der ‚Spätlese, Auslese, Beerenauslese etc.‘ geboren. Man sieht: Schnelligkeit ist nicht Alles im Leben…
Traditionell ist der Rheingau Heimathafen für den Riesling. Knapp 80% der Rebfläche sind mit Rieslig bestockt, weitere ca. 10% mit Spätburgunder. Somit wird klar: eine Rebvielfalt wie in den linksrheinischen Anbauregionen Pfalz bzw. Rheinhessen gibt es Rheingau nicht.

Neben der Mosel gilt somit der Rheingau als DIE Riesling-Region Deutschlands. Was im Inland möglicherweise eher bremsend wirkt, klettern doch zunehmend Rebsorten wie Grauer und Weisser Burgunder, Chardonnay, Sauvignon Blanc, Muskateller und Scheurebe in der Gunst der Konsumenten nach oben, erweist sich im Export als äusserst stabile Kernbotschaft. Im Ausland ist in der Wahrnehmung die Weinbaunation Deutschland immer noch gleichbedeutend mit dem Alleinstellungsmerkmal ‚German Riesling‘.

Geologie formt die Stilistik – Das Rheinische Schiefergebirge
Der Rheingau gehört geologisch noch zum sogenannten Rheinischen Schiefergebirge. Quarzit, Sandstein sowie Schiefer sind hier die prägenden Bodenstrukturen. Und diese wiederum prägen die Struktur des Rieslings. Es ist kein Geheimnis, dass die Rieslinge von Mosel oder aber Rheingau eher ‚knackig‘ sind. Soll heissen: eine solide Säurestruktur begleitet die Weine und verleiht diesen Weine ein immenses Alterungspotential. ‚Jugendwahn‘ im Konsum ist hier eher fehl am Platz – mindestens 2-3 Jahre Reife sind fast schon ein Muss. Andererseits merkt man den Weinen meistens auch ein Alter von 5 Jahren fast nie an, so frisch und präzise kommen die Weine daher.

Rheingau – Ort der Tradition und der Moderne
Der Rheingau mag einerseits recht traditionell daher kommen: man setzt unbeirrt auf den Riesling als Rebsorte No. 1. Andereseits ist der Rheingau aber auch Motor & Treiber im modernen Weinbau. Die Hochschule Geisenheim, 1872 als Königlich Preußische Lehranstalt für Obst- und Weinbau gegründet, ist heute DIE Talentschmiede für junge WinzerInnen. Sie genießt nicht nur national ein hohes Ansehen, sondern ist vielmehr auch im Ausland eine renommierte Adresse für die akademische Bildung im Fachbereich Oenologie. Kein Geringerer als Hermann Müller aus dem Schweizer Kanton Thurgau arbeitete als leitender Forscher von 1870 bis 1890 in Geisenheim. Und kehrte mit einem in Geisenheim gezogenen Sämling im Jahre 1891 in die Schweiz zurück. Der Rest ist bekanntlich Geschichte: die Neuzüchtung aus Riesling und Madeleine Royale, besser bekannt als ‚Müller Thurgau‘, wird weltweit auf knapp 35000 Hektar angebaut.

Wissenschaft trifft Praxis – Praxis trifft Wissenschaft
Johanna Döring und Matthias Friedel werden mir sicherlich nicht den Kopf abreissen, wenn ich das Paar eher zu den ‚kleineren‘ Weinbetrieben im Rheingau zähle. Knapp 1,2 Hektar (das sind ca. 2 Fussballfelder) haben die Beiden in Geisenheim in Bewirtschaftung. Sehr spannend ist die Konstellation, dass Beide wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrkräfte an der Hochschule Geisenheim sind. Somit trifft hier in geballter Form die Wissenschaft auf das reale Leben in Weinberg und Weinkeller. Ist das, was man lehrt, in der Praxis auch umsetzbar? Fließen die Erfahrungen im Wingert und im Keller umgekehrt in die Lehre ein? Wird man als WissenschaftlerIn in der qualitativen Einschätzung der Weine mit dem gleichen Massstab gemessen, oder muss man noch perfekter, noch akribischer sein um einer möglichen Kritik zu begegnen?
Im Weingut, dass die Beiden ‚Trinks Trinks‘ genannt haben, wird dieses Spannungsfeld sehr entspannt betrachtet. Zum Einen ist die produzierte Menge nicht derart groß, dass man in einem hart umkämpften Markt einen Verkaufsdruck verspürt. Und diese Freiheit erlaubt es somit auch teilweise experimentell vorzugehen. So wird bspw. der Riesling ‚In aller Ehren‘ aufgrund der physiologischen Basis der Trauben im gebrauchten Barrique aus dem Burgund ausgebaut. Andererseits sind es aber auch die ‚Nicht-Experimente‘, die die Weinstilistik ausmachen: ökologische Bewirtschaftung der Rebgärten, minimalster Eingriff im Weinkeller. Die Hefen gären spontan, machen mehr oder weniger was sie wollen. Und dann ist es nun mal so, dass unterschiedliche Jahrgänge schlichtweg unterschiedlich schmecken, sich unterschiedlich entwickeln, sich einer seriösen Prognose schlichtweg entziehen.
Somit bietet ein flächenmässig kleines Weingut eine unfassbar große Vielfalt: 3 unterschiedliche Lagen im ‚Geisenheimer Mönchspfad‘, unterschiedlich ausgebaut und zusätzlich noch in verschiedenen Jahrgängen /Reifezuständen. Für Riesling- und Sensorikfans eine genauso lehr- wie genussreiche Spielwiese um die Rieslinge des Rheingaus zu entdecken!

Trinks Trinks – und hör zu!
Ganz herzlich freue ich mich, mit Johanna & Matthias zu ihren Weine podcast-Folgen aufgenommen zu haben. Im ‚Radio Rebstock‘ findet ihr die Episode #4 ‚Mitanand‘ als Auftaktveranstaltung. Benannt ist diese Episode nach dem gleichnamigen Gutsriesling der Beiden, welche wir als Version 2016 und 2019 verkosten. Diese Jahrgänge sind sowohl noch im Weingut verfügbar wie auch bei uns (Preis je Flasche € 7,90).

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In der zweiten Folgen „#5“ widmen wir uns dann den einzelnen ‚Gewannen‘ im Geisenheimer Mönchspfad, die Johanna & Matthias separat vinifizieren. ‚Im Schorchen‘, ‚Steingrub‘ und die Parade-Parzelle ‚In allen Ehren‘ liegen nur wenige hundert Meter auseinander, ergeben aber komplett unterschiedliche Rieslinge. Tipp: der 2016er ‚Steingrub‘ ist ein hinreissender Charakterwein!

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